Internet Statement 2020-62

 

 

 

 

 

Die Demo am 19.09.2020: Wer hat, der gibt – die Reichen müssen für die Krise bezahlen

Der Kapitalismus hat kein Verteilungsproblem, er ist das Problem!

 

 

Wassili Gerhard   22.09.2020

Das kann nur Satire sein: Wir laden die Wohlhabenden ein mit uns auf die Straße zu gehen und zu fordern: "Die Reichen müssen für die Kosten der Corona-Krise bezahlen.", wie es im Aufruf zur Demo am 19.09. heißt. Es heißt auch: Geld ist genug da, es ist nur ungleich verteilt. Darauf kommen wir noch zurück.

 

Die Reichen müssen für die Krise zahlen – das ist richtig! Geldvermögen ist allerdings viel da, hunderte Billionen, so daß dessen reichste Besitzende bzw. Verwalter wie z.B. der größte Akteur BlackRock auf der ganzen Welt wie die Besessenen nach Möglichkeiten suchen, es für hohe Renditen anzulegen. Sie tun das natürlich, um aus Geld mehr Geld zu machen, nicht den Hunger und das Elend auf der Welt zu beseitigen, das vergrößern sie eher. Für die Reichsten gilt: Wer hat, der hat das auch irgendwo her. Wer nicht nimmt, wird auch nicht reich.

 

– Es sei denn, es dient zur Imageverbesserung, das wird sozusagen aus dem Werbeetat finanziert, der insgesamt mit eingepreist ist, denn unter dem Strich rentiert sich das. Jedenfalls wenn man mit der Baggerschaufel einfährt und mit der Pinzette zurückgibt. Die Reichsten könnten schon von ihrem jährlichen Vermögenszuwachs den Hunger in der ganzen Welt beseitigen, jedes Jahr Millionen vor dem Verhungern retten. Selbst während der Corona-Zeit, während der Wirtschaftskrise, in der viele ruiniert wurden, sind die Allerreichsten noch um etliche Milliarden reicher geworden. Ob die Politiker, bei denen die obersten Multi-Milliardäre und ihre Abgesandten ein- und ausgehen, den Lockdown gemacht hätten, wenn die Wirtschaft gebrummt hätte und die Reichsten sehr viel verloren hätten, wage ich ernsthaft anzuzweifeln. So kann man den Markt bereinigen, „Zombiefirmen“ weg bekommen und wieder eine Zeit lang den großen Zusammenbruch aufschieben. Und man kann eben jetzt dreist behaupten, ohne Corona wäre alles viel besser gelaufen – nein, ohne permanent nur verschobene Wirtschaftskrise als Hintergrund wäre Corona anders gelaufen.

 

Unverdrossen streben die Reichsten das Ziel an, Billionäre zu werden, was angeblich in 20 Jahren so weit sein soll. Ihr Einfluss auch auf die Politik wir immer dominierender. Was sie aber nicht dabei einkalkulieren, ist der Fakt, daß eine solche Entwicklung auch zu einer revolutionären Lösung des Problems drängt. Wie lange lassen es sich die Milliarden noch gefallen, von den Milliardären untergebuttert zu werden, zu hungern oder verhungern? Auch wenn die dreist behaupten, die Welt zu retten.

 

Die „111 Millionär*innen“ aus dem Aufruf zur Demo, die mehr Steuern zahlen wollen, was wirklich insgesamt betrachtet „Peanuts“ wären, sind heute im reichen Teil der Welt schon eine kleine Minderheit unter den vielen Reichen zweiter Klasse, Millionäre gibt es mittlerweile schon Millionen. Richtig große Vermögen zählen heute in Milliarden und bewegen Billionen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist heute so weit auseinander wie nie. Für die richtig Reichen ist das Geld, das von Millionären gezahlt würde, Peanuts. Aber selbst Besitzer von viel weniger als einer Million sind schon unvorstellbar reich gegenüber denen, die nicht wissen, ob sie noch genug Essen für den nächsten Tag ergattern, global hunderte Millionen Menschen, wenn nicht Milliarden. Von denen gibt es mittlerweile eine Anzahl auch in unserem Land, zum Beispiel die osteuropäischen Arbeiter, die im Zelt leben und vielleicht im Morgengrauen auf dem „Arbeiterstrich“ auf einen Job als Tagelöhner hoffen. Von denen ist wenig die Rede, und man hat den Eindruck, daß soetwas hier zur Normalität werden soll.

 

Und selbst die „Peanuts“ sammeln die Finanzhaie, die mit Billionen operieren, lieber selbst ein, bis daraus wieder große Investitionen gebündelt werden können. Und die weniger Reichen und sogar Normalverdiener sollen ihnen freiwillig und auch unfreiwillig, weil sie zum Beispiel in Riesterrenten oder andere Versicherungen gedrängt werden, ihr Geld überlassen. Merz kam kürzlich gar mit dem Vorschlag, privates Sparen für die Rente solle Pflicht werden, also jeder soll gezwungen werden, in den Finanzsektor einzuzahlen. Und selbst aus den Schulden in den reichen Ländern wird noch Rendite geschlagen, denn Schuldverbriefungen werden, weil sie einen Anspruch auf Rückzahlung darstellen, wie Geldguthaben behandelt. Und wenn das schief geht, springt der Staat dafür ein, wie gehabt. Seit Jahrzehnten wurde auch das staatliche Tafelsilber der Gesellschaft verscherbelt: Wohnungen, Staatsbetriebe, Staatseigentum der DDR usw., es wird die eigene Bevölkerung enteignet, um diesen Sektor zu füttern. Und so kaufen Unternehmen, die den Finanzanlegern gehören, mit unseren Versicherungsbeiträgen eventuell unsere Wohnungen und machen sie für uns zu teuer.

 

Insgesamt lebt das ganze Land zunehmend von internationaler Finanzausbeutung, denn die Rendite wird in aller Welt gemacht, und auch die großen Produktionsunternehmen haben den Großteil ihrer Produktionsstätten irgendwo anders in der Welt. Aus der Sicht des internationalen Kapitals ist das sinnvoll. Die wußten sich nicht anders zu helfen, um den Klassenkampf im Inneren zu bekämpfen, dessen Dämpfung in der Zeit der globalen Auseinandersetzung mit einem anderen Gesellschaftssystem immer teurer wurde. Der aufgeblähte Finanzsektor soll im Inland einen Ersatz für die massiv in andere Regionen verlagerte Industrie darstellen, die man als potentielle Quelle sozialer Unruhe, einer wachsenden organisierten Arbeiterklasse, nicht mehr im früheren Ausmaß hier haben will. Mit den höheren Gewinnen, wenn man die Industrieanlagen woanders in der Welt hat, kann man auch etwas für Hartz IV abzwacken, um die frühere Industriebevölkerung auf das demografische Aussterbegleis zu setzen. Wie lange das noch so gut geht, ist eine andere Frage. Letztlich schaffen sie sich auf globaler Ebene größere Probleme als die, denen sie entkommen wollten.

 

Richtig ist an dem Aufruf zur Demo die Tendenz, wenn es heißt:

„Es gilt jetzt die Menschen in den systemrelevanten Berufen zu stärken, die uns durch die Krise getragen haben und die soziale und kulturelle Infrastruktur zu unterstützen. Geld ist genug da, es ist nur ungleich verteilt. Diesen gesellschaftlichen Skandal werden wir wieder in den Fokus politischer Auseinandersetzungen rücken.“

Es wird aber nicht gefragt, woher das Geld kommt. Es kommt eben nicht nur aus dem Inland, sondern stammt in den reichen Ländern überwiegend aus internationaler Ausbeutung. Und daran mehr partizipieren zu wollen, heißt auf Kosten der Ausbeutung anderer in einer neuen „Volksgemeinschaft“ zu leben. „Ein Volk, das andere Völker ausbeutet, kann selbst nicht frei sein.“ Diese Wahrheit stimmt weiterhin, und sie stimmt auch für Länder, die eine vielfach zusammengesetzte Bevölkerung haben, und da hilft es auch nichts, den Begriff Volk abzulehnen. Wer darauf setzt, findet sich am Ende in einem Krieg gegen die ausgebeuteten Länder wieder. Eine Änderung der Sprachregelung reicht da nicht, sie ist nicht das Gleiche wie eine reale Änderung der materiellen Verhältnisse. Manchmal lenkt sie davon sogar ab.

„Der Staat hat jahrzehntelang die Umverteilung von unten nach oben gefördert. Nun gibt es erneut Bestrebungen aus Teilen der Wirtschaft und der Union, Sozialausgaben auf den Prüfstand zu stellen oder den Mindestlohn zu senken. Dagegen werden wir uns zur Wehr setzen.“ (Ebenfalls aus dem Aufruf)

Da stimme ich voll zu, dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. Dabei darf man aber nicht auf Einsicht hoffen. Dafür sind es Milliarden auf der Welt, die genau das gleiche Interesse haben, sich gegen die Ausplünderung, die woanders noch viel schlimmer ist, zur Wehr zu setzen. Mit denen müssen wir die Gemeinsamkeit suchen, auf die können wir setzen, nicht auf Einsicht der Herrschenden und ihrer Politiker.

 

Insgesamt ist festzustellen: Das Motto „Wer hat der gibt“ bleibt Rebellion auf den Knien, wenn der Kapitalismus dabei nicht generell zur Disposition steht, der international ein räuberisches und massenmörderisches System ist, und das schlägt zunehmend auch nach hier durch. Der Kapitalismus hat nicht ein Verteilungsproblem, er ist eine Gesellschaftsstruktur, in der die Ausbeutung der vielen die Voraussetzung des Reichtums der Wenigen ist, die deshalb auch immer mehr alles besitzen, die Fabriken, die Rohstoffe, den Boden, die Immobilien. Solange diese Struktur und dieses Machtverhältnis nicht beseitigt ist, ist „gerechte Verteilung“ ein frommer Wunsch, denn aus der Sicht der herrschenden Klasse, die von den Gewinnen dabei lebt, ist es genau so auch gerecht, wie es jetzt ist. Es ist an der Zeit, sich wieder Gedanken zu machen, wie eine andere Gesellschaft als der Kapitalismus aussehen muß, und den Kampf dafür anzugehen, nicht für ein Nischenghetto.

 

Insgesamt ist ein Rückschritt gegenüber dem Stand zu verzeichnen, den die linke Bewegung früher schon einmal hatte, bevor die grün-alternative Richtung so dominant wurde, was im Zusammenhang mit den massiven Änderungen in der Welt zu sehen ist, die in den letzten 40-50 Jahren vonstatten gingen. Letztlich ist durch den Wegfall des revolutionären China mit einem Viertel der Weltbevölkerung und die Wieder-Durchsetzung des Kapitalismus global, nachdem schon einmal die halbe Weltbevölkerung in Ländern gelebt hatte, die zumindest postulierten, nicht kapitalistisch, nämlich sozialistisch sein zu wollen, sowie die Verlagerung der Industrie hierzulande wie in anderen ursprünglichen Industrieländern, eine große Veränderung in Gang gesetzt worden. Der Arbeiterbewegung wurde mit dem Abbau ihrer Basis eine schwere Niederlage beigebracht, die Bewegung der Dritten Welt verlor einen wesentlichen Rückhalt.

 

Während vorher viele Sozialisten auf eine erneute Revolution in Ländern wie der Sowjetunion setzten, hat sich im weiteren der Kapitalismus wieder global als das einzige System durchgesetzt. Das hat bei vielen auch in der Jugend- und Studentenbewegung die einstmalige Siegesgewißheit in Entmutigung umschlagen lassen und bei den karrieristischen Elementen in Führungspositionen, die auf den Sozialismus als Karrierechance gesetzt hatten, bei Kräften, gegen die wir immer gekämpft haben, zu einer totalen politischen Kehrtwende geführt. Das hat gleichzeitig Rechten die Gelegenheit gegeben, in einem pseudolinken Habitus ihre Positionen zu vertreten, und so sind beide zusammen gekommen. Voilá: Die Grünen.

 

Angesichts von „40 Jahre Grüne“ sagte kürzlich jemand, die Grünen seien das größte Pazifizierungsprogramm für die 68er Linke gewesen. Man habe viele vom Kampf gegen den Kapitalismus weg und wieder an den Staat heran geführt. Tatsächlich werden heute leider selbst staatliche Zwangsmaßnahmen von manchen Linken verteidigt, wenn sie „grün“ genug begründet werden. Daß diese Partei in letzter Zeit von vielen als eine bürgerliche Partei wie die anderen gesehen wird, ist zu begrüßen. Das ist ja auch unübersehbar so in einer Zeit, in der sogar die CDU-Bundeskanzlerin grün ist. Zu der Enttäuschung hat auch beigetragen, daß die Grünen in Berlin wieder mitregieren. Aber was sollte man denn auch erwarten, wenn man Rot-Grün auf Bundesebene nicht vergessen hat? Wer erwartet, daß Schwarz-Grün besser wird?

 

An den Staat zu appellieren, daß er die Reichen mehr besteuern soll, daß das Vermögen besser verteilt werden muß, ist kleinbürgerlicher Sozialismus, und der kann niemals mit dem Kapital fertig werden. Im Gegenteil, der wurde in der Vergangenheit sogar genutzt, rechte Strömungen hochzupeppeln. Die sozialen Fragen, die Beseitigung des Kapitalismus, ohne die Hunger, Elend, Armut und Massenmord in der Welt nicht beseitigt werden können, muß wieder an erster Stelle stehen. Im Grunde ist der Kapitalismus davon getrieben, daß er seine Probleme nicht in den Griff kriegen kann. Das hat erst sein Ende mit dem Ende des Kapitalismus. Die neunziger Jahre waren nicht „das Ende der Geschichte“, das ist längst klar. Und auch das Ende des Kapitalismus wird nicht das Ende der Geschichte sein, aber ein großer Schritt vorwärts.

 

 

 

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