Internet Statement 2019-50

 

 

 

It’s the class struggle, stupid!

Anläßlich des 80. Jahrestags des Überfalls Nazideutschlands auf Polen

 

 

 

Uwe Müller  31.08.2019

An diesem 1. September 2019 jährt sich der Überfall Nazideutschlands auf Polen zum 80. Mal. Aus diesem Anlaß erschien heute in der Online-Ausgabe der FAZ ein Kommentar von Berthold Kohler mit dem Titel „Der Frieden ist kein Naturzustand“, in dem der Autor wert darauf legt, festzustellen, daß der Frieden in Europa kein Naturzustand, keine Selbstverständlichkeit sei. Er sei das Ergebnis eines langen Prozesses der Versöhnung und das erreichte, überragende Ziel der europäischen Einigung. Und das gäbe Grund zur Zufriedenheit.

 

Nebenbei bemerkt. Wenn er von 80 Jahren Frieden in Europa spricht, so zeugt das von Ignoranz und Zynismus. Er hat dabei anscheinend nur Frankreich und Deutschland im Auge. Als wenn das ehemalige Jugoslawien etwa nicht zu Europa gehört hätte. Fand dort nicht ein jahrelanger, von außen angeheizter, äußerst verbittert und brutal geführter Bürgerkrieg statt? Und war nicht der darauf folgende Krieg gegen Serbien unter maßgeblicher Verantwortung Deutschlands (man erinnere sich nur an den Grünen Joschka Fischer als Kriegstreiber in vorderster Linie!) der erste von Deutschland mitgeführte Angriffskrieg seit dem 2. Weltkrieg?! Was ist mit dem Krieg in der Ukraine? Gehört die Ukraine nicht auch zu Europa? Ganz zu schweigen von all den Kriegen außerhalb Europas, an denen aber europäische Staaten beteiligt waren, der Algerienkrieg, der britische Krieg um die Falkland-Inseln, die Kriege gegen Afghanistan, den Irak und Libyen seitens des US-Imperialismus - mit starker europäischer Beteiligung? Zählen die etwa nicht? Aber zurück zum Kernthema....

 

Zum anderen, und darauf liegt sein Hauptaugenmerk, gebe die aktuelle Situation auch Anlaß zur Sorge. Ein Krieg in Europa ist für ihn heute wieder wahrscheinlich(er) geworden. Es brauche keine ‚teuflischen Gestalten a la Hitler oder Stalin‘, um Länder in Krieg und Elend zu stürzen, auch gekrönten und miteinander verwandten „Schlafwandlern“ gelang das schon. „Voraussetzung dafür war in beiden Fällen die mehr oder minder ausgeprägte Bereitschaft der Völker, ihren Führern und deren Vorstellungen zu folgen.“

Anschließend fährt er fort: Da das heutige Gedankengut nicht mehr allein auf der Vorstellung beruhe, daß Nationen miteinander mehr erreichen als gegeneinander, im Handel wie in der Sicherheitspolitik, sondern daß heute auch ‚nationaler Egoismus, Chauvinismus und Revisionismus wieder im Angebot seien und rege nachgefragt würden‘. Staaten sollen abermals wieder „groß“ gemacht werden, „starke“ Männer werden heutzutage wieder verehrt. Es gäbe immer mehr Wut und Haß, der von skrupellosen Politikern geschürt wird und der sich irgendwann entladen muß. Auch wenn aus Höcke wahrscheinlich kein Hitler 2.0 werden wird, wie er sich ausdrückt, so tragen doch solche Figuren und mehr noch ein Trump dazu bei, das gesellschaftliche Klima zu vergiften.

 

 

Was ist das denn?! Der erste und auch der zweite Weltkrieg wurden geführt, weil die dummen Völker „starken“ Männern gefolgt sind? Da kann einem ja wirklich Angst und Bange werden, wenn in einem führenden bürgerlichen Blatt solche Ergüsse geliefert werden können.

 

Was hat denn zum ersten Weltkrieg geführt? War das nicht der Kapitalismus mit der ihm innewohnenden brutalen Konkurrenz der imperialistischen Staaten um Einfluß und Kolonien? Wollten nicht alle imperialistischen Staaten den Krieg? War das nicht der Kampf um die Hegemonie? War das nicht auch damals schon der Kampf der herrschenden Klassen und der kapitalistischen Staaten gegen die immer stärker werdende Arbeiterklasse, gerade auch in Deutschland? War das nicht auch Klassenkampf von oben, getrieben von der Angst vor der proletarischen Revolution? War nicht auch der Größenwahn, Chauvinismus und die Abgehobenheit des deutschen Kaisers und Bürgertums, bis hin zu weiten Teilen des Kleinbürgertums und gar Teilen der Arbeiterschaft, ein gewichtiger Faktor? War nicht die russische Revolution von 1905 Anlaß nicht nur für das reaktionäre Zarenregime, die Flucht nach „vorne“ in den Krieg anzutreten und so Millionen von „aufsässigen“ Arbeitern und Bauern auf dem Schlachtfeld loszuwerden? Kurz gefaßt: War nicht der Kapitalismus mit seiner Raub- und Ausbeutungsmentalität, seinen inneren und äußeren Widersprüchen und seiner Krisenhaftigkeit die eigentliche, die grundlegende Ursache für das jahrelange Abschlachten großer Teile der jungen Generation in Europa und rund um den Globus? Von alledem scheint unser Autor nichts zu wissen, oder er will es nicht wissen.

 

Und was hat zum 2. Weltkrieg geführt? Was und wer hat die Nazis an die Macht gebracht, welche Faktoren spielten dabei die Hauptrolle, die Grundlage?

Auch wenn ich an dieser Stelle nur mir wesentlich erscheinende Punkte skizzieren kann, muß ich ein wenig ausholen. Die Revolution in Rußland 1917 läutete das Ende des Krieges ein, der dann durch die Revolution in Deutschland 1918 beendet worden ist. Nicht nur in Deutschland, überall in Europa gärte es, der Sozialismus stand auf der Tagesordnung. Die Erkenntnis, daß nicht Einzelpersonen, weder Kaiser noch Zar, sondern der Kapitalismus die Ursache für das jahrelange sinnlose Schlachten gewesen war, brach sich mehr und mehr Bahn. Mit vereinten Kräften gelang es den Siegermächten und der deutschen Bourgeoisie inklusive der sozialdemokratischen Führer die Revolution in Deutschland niederzuschlagen, die Räterepubliken in Bayern und Ungarn wurden brutal zusammen geschossen. Für diese Konterrevolution wurden schon damals faschistische Freikorps verwendet und hochgepäppelt. Gegen das sozialistische Rußland wurde seitens der imperialistischen Mächte, USA voran, Krieg geführt, die russische Konterrevolution massiv militärisch und finanziell unterstützt. Bis 1923 dauerte der blutige Bürgerkrieg, der dort mehr Opfer forderte als im 1. Weltkrieg. Das sozialistische Rußland, die Revolution aber hielt stand. In Deutschland, dem Land mit der damals größten und stärksten Arbeiterbewegung dauerte der Bürgerkrieg, der militärische Kampf gegen die Kommunisten, gegen die proletarische Revolution, mit Unterbrechungen bis 1923 an. Hinzu kam das Friedensdiktat von Versailles, das Deutschland die Alleinschuld am 1. Weltkrieg zuschob und ihm gigantische Reparationszahlungen über Jahrzehnte hinweg aufzwang. Das mußte Widerstand hervorrufen, und das tat es auch. Daß dies gerade den reaktionären und faschistischen Kräfte riesigen Auftrieb gab, ist bekannt. Die bürgerlichen Kräfte, dazu zählt auch die Sozialdemokratie ab 1914, waren zu stark mit den Siegermächten, insbesondere mit den USA, verbandelt, als daß sie berechtigten Widerstand hätten leisten wollen. Ökonomisch lag Deutschland am Boden, die Hyperinflation von 1923 ist heute noch im kulturellen Gedächtnis quasi verankert.

 

Die USA hatten im Gefolge des Krieges Großbritannien als Hegemon, als die führende imperialistische Macht, abgelöst. Und 1929 brach dann schon die Weltwirtschaftskrise aus. Massenarbeitslosigkeit allerorten, aber auch die Abwehrkämpfe der Arbeiter nahmen zu. Der Kommunismus, schon durch den erfolgreichen Aufbau in der Sowjetunion mit immer mehr Anhängern weltweit, gewann durch die Weltwirtschaftskrise, die den Kapitalismus in seinen Grundfesten erschütterte, verstärkten Zulauf. Zudem war die erfolgreiche Revolution in Rußland ein Beispiel und Vorbild für alle unterdrückten Nationen und Völker, daß man sich vom Imperialismus befreien kann. Es rumorte auf dem Globus, es lag auf der Hand, der Kapitalismus führt zu Krieg und Elend. Weg damit! Nationaler Befreiungskampf der unterdrückten Völker wie auch Kampf um die proletarische Revolution standen auf der Tagesordnung. So viel zur Skizzierung der Ausgangslage.

 

Was also hat zum 2. Weltkrieg geführt? Was und wer hat die Nazis so stark gemacht und an die Macht gebracht? Welche Faktoren spielten dabei die Hauptrolle, die Grundlage?

 

Kernpunkt war die Systemkrise des Kapitalismus, des Imperialismus. In den USA selbst war die Arbeiterbewegung schwach, und stellte für das System keine echte Gefahr dar. In Europa und insbesondere in Deutschland aber sah die Sache anders aus. Da war die Arbeiterbewegung, allen Widrigkeiten zum Trotz, nicht totzukriegen und ihre Kampfkraft und ihr Kampfeswillen wieder anwachsend. Die erst 1919 gegründete KPD hatte den Aderlaß der Konterrevolution überwunden und gewann zunehmend an Einfluß bei den deutschen Arbeitern. Revolution lag wieder in der Luft. Würde aber die Revolution in Deutschland durchkommen, wäre der Kapitalismus in Europa nicht mehr zu halten, das war dem internationalen Finanzkapital und den Kapitalisten aller Länder klar. Insofern konzentrierte sich der internationale Klassenkampf jener Phase besonders in Deutschland. Die Revolution durfte dort nicht durchkommen. Deutschland mußte kapitalistisch bleiben, koste es, was es wolle. Oder, wenn das nicht gelänge, so muß es halt kaputt gemacht werden. Bei aller Konkurrenz der Imperialisten, hierin waren sich die Banker der Wallstreet, der Londoner City, von Paris und Berlin, wie auch die Industriemagnaten und Monopolisten und die imperialistischen Staatenlenker einig.

 

Parallel, quasi als Gegenpol, als Konterrevolution, erstarkten in Deutschland (sowie in Italien und Spanien) in der Weltwirtschaftskrise die Faschisten, die Nazis, die sich auf das Kapital, auf große Teile des Bürgertums, der Grundeigentümer und des Kleinbürgertums stützten. Quasi vereint im Kampf gegen den Kommunismus. Daß die Nazis nicht sozialistisch waren, ist Allgemeingut. Es war nur als ein Köder für die Arbeiter gedacht. Entgegen der weitverbreiteten Anschauung waren die Nazis aber auch nicht national, ganz im Gegenteil. Sie gaben sich zwar groß als Verteidiger der deutschen Nation im Kampf gegen den Diktatfrieden aus und köderten damit Viele aus allen Schichten und Klassen, die zurecht diese Unterdrückung Deutschlands bekämpfen wollten. In Wahrheit aber waren sie Feinde der modernen Nationen und der deutschen im Besonderen. In ihrem Weltbild spielte nicht die Nation, sondern die sogenannte Rasse die Hauptrolle. Die arische Rasse, was immer das auch sein sollte, als Herrenrasse, und als böser Gegenpol die jüdische Rasse, die sie mit dem Finanzkapitalismus gleichsetzten. Sie bedienten damit sowohl reaktionäre anti-kapitalistische Strömungen als auch alte antisemitische Ressentiments, die Im Bürgertum, vor allem aber im Kleinbürgertum, und selbst in Teilen der Arbeiterklasse, vorhanden waren.

 

Januar 1933 spitzte sich die Lage für das Kapital immer weiter zu. Die Nazis verloren an Zustimmung, sie schienen ihren Zenit überschritten zu haben, während die Kommunisten immer noch stärker wurde. Es wurde gefährlich, fürs internationale Kapital. Und siehe da, prompt sprangen Vertreter des großen Kapitals und des internationalen Finanzkapitals zur Seite und pushten die Nazipartei (Geheimtreffen in Schröder Bank) politisch und mit Millionen. Sie wußten sich nicht mehr anders zu helfen, für sie waren die Nazis in der Situation die einzige Lösung, den Kapitalismus zu retten und der Revolution zuvorzukommen. Der Haß gegen den Kommunismus war die Schnittmenge. Hitler sollte sowohl die Revolution in Deutschland als auch die Revolution in Rußland vernichten. Das war in ihren Augen seine Aufgabe, dafür haben sie ihn und die Nazi-Bewegung unterstützt und wüten lassen. Daß Hitler und die Nazis dann aber den Nichtangriffspakt mit Stalin geschlossen haben, und nach dem Polenfeldzug umgedreht sind und gegen Frankreich und England sich gewandt haben, das war zumindest von den französischen und britischen Imperialisten sicher nicht so geplant. Für den US-Imperialismus war das allerdings durchaus verschmerzbar, wenn nicht von bestimmten Kapitalvertretern gar nicht so ungewollt. Schließlich war Amerika weit weg vom Schuß, und Hitler hatte den Eroberungs- und Raubkrieg gegen Rußland ja nur aufgeschoben. Die deutsche Bourgeoisie hingegen hat überwiegend die Nazis voll dabei unterstützt - im Kampf gegen die Kommunisten im eigenen Land und in Rußland, sowie auch den Aggressionskrieg gegen die imperialistischen Konkurrenten Frankreich und England. Ihre Angst vor der Revolution und ihre Gier nach der Vorherrschaft in Europa und dessen Ausplünderung waren zu groß.

 

Ich spreche damit dem deutschen Volk, bzw. großen Teilen davon, keineswegs ihre Mitverantwortung am Durchkommen der Nazi-Bande ab. Im Gegenteil, die Frage, wie es sein konnte, daß z.B. der größte Teil der Intelligenz, der Wissenschaft, sich auf das Niveau dieser antiwissenschaftlichen, rassistischen Verbrecher-Bande herablassen konnte, treibt mich um, seit ich politisch zu denken begonnen habe. Dies gilt ebenso für die Verantwortung der damaligen KPD und der Komintern, die bei allem mutigen Widerstand und all den großen Opfern im Kampf gegen die Nazis doch auch gravierende Fehler gemacht haben. Denn es ist eine Sache, was die Kapitalisten planen, eine andere ist, ob sie damit auch durchkommen.

 

 

Ich bin mir durchaus bewußt, daß dies nur recht skizzenhaft dargestellt ist. Mir geht es aber vorwiegend darum, diesem idealistischen, hohlen Geschwätz des FAZ-Kommentatoren, der von dummen Völkern, die „starken“ Männern folgen, herumschwafelt, die reale Basis entgegenzusetzen. Wo kommt denn die Wut und der Haß her, von dem er berichtet? Warum gibt es denn einen Trump, warum hat er denn die Wahlen gewonnen? Wo liegen da die Ursachen? Woher rührt die recht breite Unterstützung der AfD? Alles nur Sehnsucht nach „starken“ Männern? Oder haben nicht die bürgerlichen Parteien allesamt ihren teil dazu beigetragen, die sog. linke mit eingeschlossen? Solche Fragen aber scheinen für ihn nicht zu existieren.

 

Mein Anliegen jedenfalls ist, tiefer zu gehen, an die Wurzel der Phänomene zu gehen und aufzuzeigen, daß die beiden Weltkriege, wie alle modernen Kriege, ihre Wurzeln im Kapitalismus, im internationalen Klassenkampf von oben haben. Daß ist der materielle Untergrund, die Basis, alles andere wird davon mehr oder weniger bestimmt. Das gilt auch heute noch, obwohl es in Deutschland oder auch in Europa kaum noch so etwas wie eine starke und vor allem revolutionäre Arbeiterschaft mehr gibt. Man muß es aber international betrachten. Solange es Klassen gibt, solange es Ausbeutung gibt, solange der Profit und das Eigentum heilig sind und mit allen Mitteln verteidigt werden, solange wird es auch Klassenkampf geben. Er ist der Motor der Geschichte.

 

Im Konkreten spielen aber natürlich viele weitere ökonomische, historische und kulturelle Faktoren mit hinein, keine Frage. Die Realität ist komplex, heute mehr denn je, die jeweilige Situation muß immer konkret und allseitig erfaßt werden um nicht fehl zu gehen.

 

 

 

 

www.neue-einheit.com                                    www.neue-einheit.de