Internet Statement 2018-37

 

 

 

Die Demo gegen Mietenwahnsinn

Eine große Massendemonstration gegen Mietsteigerungen und Verdrängung in Berlin

 

 

 

Wassili Gerhard  16.04.2018

Die große Demonstration hat alle Erwartungen bei der Teilnehmerzahl übertroffen. Die angegebenen Zahlen schwanken zwischen 13.000 und 30.000. Die Veranstalter kamen zuletzt auf 25.000. Diese Größenordnung ist nicht unrealistisch, denn der Demonstrationszug, der am Sammelpunkt tatsächlich nach weniger aussah, schwoll nach dem Loslaufen enorm an und es war schließlich ein endloser, unüberschaubarer, sehr lebendiger Zug. Dazu gab es ein ständiges Kommen und Gehen und viele am Straßenrand nehmen eine wohlwollende Haltung ein. Als die Letzten am Potsdamer Platz sich in Bewegung setzten, war die Spitze schon an der Friedrichstraße/Ecke Hedemannstraße in Kreuzberg, also eineinhalb Kilometer weiter, hieß es. Trotzdem wird in vielen Zeitungen die Zahl der Teilnehmer weiterhin viel zu niedrig angegeben, gerade auch in der bundesweiten Berichterstattung.

Unser Plakat auf der Demo

   
Diese Demonstration ist vor allem deshalb ein so großer Erfolg geworden, weil dieses Thema so vielen unter den Nägeln brennt, und weil die Mitglieder vieler lokaler Initiativen eifrig dafür geworben haben. In manchen Gegenden prägten in den Tagen vorher die Plakate und Flyer das Straßenbild. Viele dieser Mieter-Initiativen sind mittlerweile entstanden, vor allem in den Brennpunktgebieten, wo die Verdrängung von Mietern besonders häufig anzutreffen ist, weil man dort die Wohnungen, oft Altbauwohnungen mit großen Fenstern und hohen Decken, die bei Neuberlinern sehr gefragt sind, für eine zahlungskräftigere Kundschaft zurecht machen und verteuern will. Berlin knüpft nicht nur in der Stadtmitte mit dem Schloß an „herrliche Zeiten“ an, auch in den Häusern, wo zu Kaisers Zeiten eher die Wohlhabenden wohnten, sollen die weniger Wohlhabenden jetzt wieder raus. Man hatte den Eindruck, daß vor allem Menschen auf die Demonstration gekommen sind, die sich selbst von der Entwicklung bedroht sehen. Es war eine bunt zusammengesetzte Mischung, eine neue, jüngere Generation dominierte gegenüber manchen anderen Demonstrationen.

Von den Veranstaltern wurde der Rahmen Stadtpolitik gesetzt. Nun gut, es lohnt sich schon, genauer hinzusehen, was hier passiert. Nach dem Abbau der ursprünglichen Berliner Industrie hatte man mit sprudelnden Subventionen neue Betriebe hereingeholt und auch den Berliner Immobiliensektor mit Subventionen aufgepäppelt. Von den Industriebetrieben, die diese Gelder eingesackt haben, sind inzwischen viele wieder weg. Es wurde nach neuen Erwerbszweigen und neuen Zuschußquellen für die Immobilienwirtschaft gesucht, deren Bedeutung relativ wuchs. Das Vorhaben, mit der Berliner Bankgesellschaft eine auf Immobilien gegründete Finanzspekulation als Ersatzgeldbrunnen aufzuziehen, scheiterte in einem Fiasko und schaffte neuen Milliardenlöcher. Solche wurden in dieser Stadt regelmäßig kreiert und die Schulden sind seit der „Wende“ explodiert.

 

Man sucht sein Heil nun seit einger Zeit verstärkt im Tourismus. Mit dem Motto „arm aber sexy“ wurde mit den Berliner Verhältnissen geworben. Aufgrund der besonderen Geschichte Berlins lebt hier eine große Zahl nicht so betuchter Menschen, allein ca. 20%, die von Transferleistungen leben, und es hat sich eine Mischung etabliert, die interessanter für Besucher ist als in anderen vergleichbaren Städten, wie in München, Paris oder London, wo zunehmend nur noch Wohlhabende sich leisten können zu wohnen und die Ärmeren außerhalb, oder wie in Paris Dutzende Kilometer weit vom Zentrum in Vorstädten leben. Da Berlin tatsächlich „Mode“ wurde, zieht die Stadt mittlerweile neue Bürger von überall in der Welt und reichlich Touristen an, also eher zahlungskräftigere Menschen, während die alten Jobs für die Einheimischen wegfielen und neue Jobs eher schlechter bezahlt werden.

 

In den letzten Jahren sind jährlich 50.000 Neubürger dazu gekommen, demnächst soll die Einwohnerzahl von vor dem Krieg wieder erreicht werden, aber die Zahl der Wohnungen erhöht sich bei Weitem nicht entsprechend, zeitweilig hat man nach der Jahrtausendwende noch Wohnungen abgerissen, um das alte Mietniveau zu halten. Höhere zahlungskräftige Nachfrage bei knappem Angebot schafft die Voraussetzungen für Wohnraumverteuerung. Das auch haben Finanzinvestoren kommen sehen, die rechtzeitig große Wohnungsbestände aufgekauft haben, denen der hoch verschuldete Senat auch vor Jahren große Bestände an städtischen Wohnungen verkauft hat. Die besser verdienenden Neubürger konkurrieren mit den Einheimischen um die immer knapper werdenden Wohnungen, wobei die Ärmeren hinten runter fallen, neuerdings auch schon garnicht mal so Arme. In dieser Stadt gibt es täglich 20 bis 25 Zwangsräumungen, hieß es auf der Demo. Die Sätze fürs Wohnen bei Hartz IV oder Bafög kommen mit den wirklichen Wohnkosten auch nicht mehr mit. Wer als langjähriger Mieter eine günstige Wohnung hat und sie verliert, bekommt nichts vergleichbar günstiges mehr.

 

Für manche mobilen kleineren Unternehmen und teils auch größeren Unternehmen ist ein Firmensitz in Berlin heute attraktiv, zumal es hier vor wenigen Jahren noch billige Büros und Wohnungen gab. Diese Nachfrage wird aber auf Dauer die Verhältnisse zerstören, die eben das „arm aber sexy“ und die Anziehung ausgemacht haben. In Berlin sind die Immobilienpreise 2016/2017 stärker angestiegen, als irgendwo sonst auf der Welt, über 20 %, aber die steigenden Immobilienpreise sind auch ein globales Phänomen. Berlin hatte im internationalen Vergleich lange ein relativ niedriges Mietenniveau und schließt nun in der Tendenz in Riesenschritten zu Städten wie München, Paris oder London auf. Es ist auf jeden Fall sehr gut und sehr nötig, daß es immer mehr Widerstand dagegen gibt, wenn man sich nicht einfach fertig machen lassen will. Diese große Demonstration ist eine erste große Heerschau, wo die vielen kleinen Initiativen gesehen haben, wie viele Gleichgesinnte es in dieser Stadt gibt. Das sollte unbedingt Mut machen, auch weiter nicht locker zu lassen und sich nicht einfach aus der Stadt vertreiben zu lassen. Das kann aber nur ein Anfang sein.

 

Es ist sicherlich auch normal, daß erst einmal nach legalen Möglichkeiten gesucht wird, die Interessen durchzusetzen. Tatsächlich schöpfen Manche die legalen Möglichkeiten teilweise erfolgreich aus, um der ungezügelten Profitgier entgegenzutreten. Aber letztlich ist diese Profitgier eine Erscheinung des heutigen Gesellschaftssystems, in dem eben das Streben nach dem maximalen Profit ein Grundprinzip ist. Mit der Höhe des erzielbaren Profits wächst auch der Wille, den Widerstand zu überwinden, einschließlich krimineller Energie. Hinter dem immer vorweggetragenen Ideal der individuellen Freiheit verbirgt sich vor allem die individuelle Freiheit des Kapitalbesitzers den maximalen Profit herauszuschlagen, und für die weniger Betuchten in dieser Gesellschaft bleibt dann die individuelle Entfaltungsmöglichkeit erheblich auf der Strecke, auch wenn sie theoretisch so gefeiert wird, denn die individuelle Entfaltung des Kapitalbesitzers geht heute in vieler Hinsicht auf Kosten der Allgemeinheit; und hinter dieser steht die individuelle Freiheit ganz vieler, die diese dann nur auf dem Papier haben. Es ist nicht falsch, die Politiker beim Wort zu nehmen und die Umsetzung ihrer Versprechen zu fordern, aber man darf dabei insbesondere nicht vergessen, daß der Staat selbst hoch verschuldet ist bei denen, die große Kapitalvermögen verwalten, mit denen wiederum viele große Unternehmen zusammenhängen. Manches, was dem einen oder anderen als Dummheit erscheint, ist z.B. auch ein Entgegenkommen gegenüber den Gläubigern, die auf zusätzliche Gegenleistungen für die gewährten Kredite zu Premiumkonditionen pochen, und manche Schlupflöcher in den Gesetzen werden von Lobbyisten dort hineingeschrieben, die diese Gesetze mit formuliert haben. Die Unwirksamkeit der Mietpreisbremse, die Privatisierung von vielen tausend städtischen Wohnungen oder das Verscherbeln von gewinnbringenden kommunalen Unternehmen sind nicht zuletzt in diesem Zusammenhang zu sehen.

 

Es ist aber auch ein internationales Problem, dem wir uns hier gegenüber sehen. Weltweit ballt sich die Bevölkerung immer mehr in Städten zusammen und das große Kapital, internationales und einheimisches, das nach lukrativen Anlagen sucht für das Geld, das heute für Kapitalanleger zu wenig Zinsen reichlich zu haben ist, wirft sich auf den knappen Wohnraum in den Städten, der durch die steigende Nachfrage immer teurer wieder verkauft werden kann. Es werden sogar freie Grundstücke und Wohnungen als Geldanlage gekauft und stehen leer. Wer mit viel Geld jonglieren kann, kann relativ mühelos reicher werden. Es war schon immer so, daß beim Steigen der Immobilienpreise menschenwürdige Wohnungen für einfache Arbeitende und Arme kein Geschäft sind, das genug einbringt. Allenfalls noch viele kleine Kaninchenställe, auf engen Raum gequetscht, wie das ja heute bisweilen schon als „Lösung“ angepriesen wird. Mit diesen internationalen Kräften legen wir uns auch an, wenn wir für würdige Wohnverhältnisse zu einem erschwinglichen Preis kämpfen. Auf die Dauer wird man die Übel des Kapitalismus nicht abschaffen können, ohne auch den Kapitalismus selbst dabei in Frage zu stellen. Davor darf man auch nicht zurückschrecken, auch wenn das nicht so einfach ist, wie Fischstäbchen aus Haien zu machen. Ohne daß vor uns Millionen diesen Mut hatten, wären viele soziale Verbesserungen nicht durchgesetzt worden. Und heute haben wir Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt auf unserer Seite, die z.B. auch für würdiges Wohnen kämpfen. Dieser breite Strom ist es, der sich am Ende durchsetzen wird.

 

 

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