Internet Statement 2017-79

 

 

 

Auto gegen Mensch? Welch eine Demagogie!

 

 

Wassili Gerhard  09.08.2017   

Am 07.08.2017, liest man schon wieder im Berliner Tagesspiegel unter der Überschrift „Rotes Licht für den Verkehr“ den folgenden Satz:

 

„Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz kommt zu einer Zeit, wo erbittert um die Zukunft des Autos gestritten wird. Die Branche hat Jahrzehnte davon profitiert, daß Städte selbstverständlich autogerecht waren und Menschen oft genug nur randständige Störfaktoren.“

 

Geht’s noch? Man sollte meinen, Autos seien eine Art UFOs aus dem Weltraum, die hier die Menschen versklaven. Ein solcher Unsinn ist in letzter Zeit häufig zu lesen. Es findet sich im weiteren allerdings auch eine vernünftigere Argumentation, aber eine solche hirnrissige Argumentation, die Autos und Menschen als feindlich gegenüber stellt, ist in letzter Zeit tatsächlich öfter zu hören.

 

Autos werden von Menschen gekauft, und das hat seinen Grund. Es gibt so viele davon, weil hierzulande eben das Auto (noch?) zum Glück kein Luxusgegenstand nur für Reiche ist, wie in früheren Zeiten, als es auch extra Dienstboteneingänge in Berliner Häusern gab, sondern für arbeitende Menschen erschwinglich, wenn auch vielleicht nur als alte Kiste. Viele müssen gehörig kalkulieren, sich evtl. verschulden, um sich ein Auto leisten zu können. Dahinter steht in der Regel auch ein entsprechendes Bedürfnis, sonst würde man die finanzielle Belstung nicht auf sich nehmen.

 

Gerade erst wurden Zahlen veröffentlicht, daß ein ganz erheblicher Teil der Arbeitenden über längere Strecken zur Arbeit pendelt, und selbst in einer großen Stadt wie Berlin mit einem relativ gut ausgebauten Nahverkehr ist der Zeitgewinn durch ein Auto meist immer noch größer als bei jedem Teilschritt der Arbeitszeitverkürzung, der mit Streik erkämpft werden mußte. Das gilt gerade auch bei flexiblen Arbeitszeiten oder im Schichtbetrieb, wo zu manchen Zeiten der Zeitgewinn enorm sein kann. Gerade Menschen, die Familie und Arbeit beider Elternteile unter einen Hut bringen müssen, wissen oft nicht, wie sie das ohne Auto schaffen sollen und kratzen mühselig das Geld für ein Auto zusammen. Wer diese Belastung nicht erlebt hat, kann sie sich nicht vorstellen. Der Trend, daß ärmere Menschen, aber mittlerweile sogar Normalverdiener und sogar Bessserverdiener an den Stadtrand verdrängt werden, oder vielleicht verstärkt in die Umgebung der Stadt ziehen, weil die Stadt zu teuer zum Wohnen wird, verstärkt sich ebenfalls. Das liegt an der zur Zeit besonders extremen Entwicklung in Berlin, wo die Mieten steil in die Höhe schießen. Aus Brandenburg kommen sowieso immer mehr Pendler nach Berlin, weil sie vor Ort keine Arbeit finden. Da ist es natürlich das Tüpfelchen auf dem i, wenn die Grünen auch noch eine Politik explizit zur noch stärkeren Behinderung und am liebsten völliger Verhinderung des Autoverkehrs durchdrücken wollen.

 

In der gleichen Zeitung können wir einen Tag später zum Beispiel auch lesen:

 

Befragungen haben ergeben, dass die zeitliche Belastung junger Eltern erst wieder merklich sinkt, wenn ein Kind seinen sechsten Geburtstag feiert. Da deutsche Familien im Schnitt eineinhalb Kinder großziehen, kommen wir also auf fast zehn Jahre, in denen wir derart gefordert sind. Währenddessen verrinnt allerdings auch ein Jahrzehnt unserer Lebenszeit.“ (Tagesspiegel vom 9. August, Seite 12)

 

Ist es da etwa nicht logisch, daß man gerade unter solchen Umständen wo nach obigem Artikel die Menschen selbst bei der Zeit für das Essen, die Körperpflege, kulturelle Aktivitäten den Rotstift ansetzen müssen, mit Hilfe eines Autos versuchen, wieder Zeit herauszuschinden? Diese Einsicht kann man aber nicht bei jedem voraussetzen. Merkel sagte z.B. kürzlich „Wir werden in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbstständig Auto fahren dürfen.“ (https://www.welt.de/politik/deutschland/article165359594/Als-Merkel-in-die-Zukunft-blicken-soll-lacht-das-Auditorium.html) Also, wenn man das insgesamt einordnet, sollen dann nur Wohlhabende noch Auto fahren dürfen, die sich solch ein autonom fahrendes Auto leisten können.

 

Politik gegen Autos ist Politik gegen Menschen. Es geht nicht Mensch gegen Auto, sondern Politik gegen Menschen die Auto fahren. Zu diesem Zweck wird von der hiesigen Politik auch teilweise eine chaotische Situation geschaffen. Die Politik hält zwar eiskalt die Hand auf, um die Autofahrer vielfältig abzukassieren, aber schafft keine Möglichkeiten, daß man z.B. auch da einen Parkplatz bekommt, wo man ihn braucht, arbeitet eher in die Gegenrichtung, als wollte sie den Autofahrern sagen: Hängt euch das Auto doch um den Hals und nehmt es mit in eure Wohnung, wenn ihr nicht endlich darauf verzichten wollt. Immenser Zeitverlust durch unnötige Staus oder Suchen nach Parkplätzen ist die Folge. Das Auto soll den Menschen hierzulande regelrecht vergällt werden. Straßen werden „rückgebaut“, so daß künstlich Staus erzeugt werden. Mangel an zugelassenen Parkplätzen zwingt manchmal regelrecht zum Falschparken. Die Verschiedenen Sorten Verkehrsteilnehmer werden regelrecht gegeneinander gehetzt.

 

Man sagt, daß zugespitzte Situationen bei den Einen das Beste, bei den Anderen das Schlechteste zum Vorschein bringen. Der Autor dieses Artikels ist regelmäßig als Fußgänger, Autofahrer und Fahrradfahrer unterwegs, seltener als Nutzer des ÖPNV. Was mir immer wieder auffällt, ist die wachsende Ellenbogenmentalität im Verkehr, so daß man regelrecht ins Hintertreffen gerät, wenn man sich an die Regeln zu halten versucht. Eigentlich ist es bemerkenswert, daß trotzdem noch so viele sich korrekt verhalten, aber die Anderen fallen auf und prägen das Bild: Manche Autofahrer stellen Radwege zu, aber behindern auch bedenkenlos den Gesamtverkehr, wenn sie sich in die zweite Reihe stellen, um nicht ein paar Schritte mehr laufen zu müssen. Fahrradfahrer behindern unnötig den Verkehr, fahren unberechenbar und ohne auf den übrigen Verkehr zu achten, fahren auch da auf dem Fußgängerweg, wo man schwerlich einen Grund findet, warum sie nicht auf der Straße fahren, benutzen vorhandene Radwege nicht, auch wenn sie wirklich frei und gut benutzbar sind, so daß für den Autoverkehr gleich doppelt Platz wegfällt: einmal für den Radweg und einmal durch die Fahrradfahrer, die ihn nicht benutzen. Manche Autofahrer fahren völlig rücksichtslos, in Berlin fällt dabei eine berüchtigte Spezies mit großen schwarzen BMWs auf, die für jeden Meter den ganzen übrigen Verkehr gefährdet und vergessen hat, wo der Blinker ist, weil der ja für ihr Fortkommen nicht nötig ist, der soll ja nur denen das sichere Fahren leichter machen, deren korrektes Verhalten letztlich auch ihren Fahrstil erst möglich macht. Lastwagenfahrer werden so unter Zeitdruck gesetzt, daß sie mit vernünftigem Fahren ihre Zeitpläne nicht einhalten und fahren manchmal nach Faustrecht. Fußgänger laufen bedenkenlos auf Fahrradwege, nötigen manchmal andere Verkehrsteilnehmer, indem sie nur kurz gucken, ob die noch anhalten können und dann einfach loslaufen und demonstrativ in eine andere Richtung sehen.

 

Dabei enthält unsere Straßenverkehrsordnung einen wirklich vernünftigen Paragraphen 1:

 

„Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“

 

Dieser Grundsatz enthält eine Ethik, die innerhalb jeder Gemeinschaft sinnvoll ist, die auch mit Fehlern anderer rechnet, obwohl sie zum fehlerfreien Verhalten mahnt. Natürlich spielt gesellschaftliche Ungleichheit da hinein, z. B. ob man sich überhaupt ein Verkehrsmittel leisten kann, aber im Rahmen der Möglichkeiten ist das so optimal. Dagegen verstößt zu allererst der Staat, der formal zuständig für die Durchsetzung wäre, der auch damit wieder zeigt, daß er ein Klassenstaat ist. Indem die Parkplatznot nicht sinnvoll bekämpft wird - zwischenzeitliche Initiativen wurden in den Papierkorb geworfen - und künstliche Staus verursacht werden, die ganze Verkehrspolitik der siebziger Jahre in den Papierkorb geworfen wurde, als z.B. in Berlin ein Netz von Schnellstraßen geplant wurde, das heute bitter fehlt, wird fast jeder Verkehrsteilnehmer gefährdet, behindert und belästigt.

 

Die regierenden Parteien machen eine Politik gegen die Verkehrsteilnehmer, spielen sie gegeneinander aus. Ich bin auch gespannt, ob man Radschnellwege gebacken bekommt, ohne nur einfach Straßen umzuwidmen und damit das Chaos an anderen Stellen zu vergrößern. Wäre da nicht die kapitalistische Wirtschaftslogik, die zum Profit machen zwingt, sähe es noch trüber aus, aber das Bedürfnis nach Verkehr kann eben auch in klingende Münze umgesetzt werden, so kommt es auch zu gegenläufigen Entwicklungen, und das ist auch gut so. So ist das leider, wenn die politische Macht in den Händen der jetzigen herrschenden Klasse bleibt. Wir müssen uns darüber freuen, wenn sie sich nicht einig werden, aber ohne eine andere Gesellschaftsordnung wird es nicht gehen, wenn die Probleme wirklich sinnvoll angegangen werden sollen. .

 

Seit aber z.B. die Autoindustrie ihre Zukunft vor allem in den neuen Märkten in China, Indien und wo noch überall, aber weniger in Deutschland sieht, geht die Politik auf Verhältnisse zu, daß nur ein kleinerer wohlhabender Teil in den Genuß größerer Mobilität kommt, warum man sich auch vor allem auf die teuren Schlitten für die Wohlhabenden wirft. In China oder Indien ist es so, daß ein kleiner Teil von 2,5 Milliarden eben eine ganz andere Größenordnung ist als sogar 100% der Deutschen. Also kann man das vergessen, daß möglichst große Mobilität für möglichst viele ein Ziel hierzulande ist. In Zeiten, in denen die einstigen Extraprofite aus der internationalen Ausbeutung immer mehr zum Maßstab werden, ist auch ein Bestreben, hierzulande das Lebens- und Kulturniveau zu senken, folgerichtig. Das zeigt sich ja auch am allgegenwärtigen Einfluß grüner Politik bis hoch zu Merkel als Obergrüne. Für die grüne Politik ist Verkehr per se zu verhindern, außer vielleicht Nahverkehr zu Fuß oder per Rad. Die AL (Alternative Liste) in Berlin, wichtiger Vorläufer der Grünen hatte in ihrem Wahlprogramm die Kiezkultur, wo man nicht aus seinem Kiez raus muß, als Ideal, um Verkehr zu verhindern. Das ist, wie das auch sonst in der Regel bei den Grünen ist, direkt gegen eine der Quellen des gesellschaftlichen Fortschritts gerichtet, und das ist der Verkehr.

 

Verkehr vermittelt Begegnungen, direkte Eindrücke, fördert Gedankenaustausch, weil er gegen die lokale Abgeschiedenheit wirkt. Verkehr war schon immer einer der Motoren des Fortschritts, sei es Warenverkehr, Verkehr von Menschen, Verkehr von Ideen. Keine heute entwickelte Gesellschaft wäre entwickelt ohne Verkehr, ohne die umfangreiche Aufnahme von Waren, Menschen, Ideen von überall her. Die Beschränkung auf einen begrenzten Aktionsradius mag saturierten Spießern gefallen, aus einer prinzipielleren Sicht ist sie ein Verbrechen gegen die Weiterentwicklung. Und ohne Weiterentwicklung wird die Menschheit künftige Herausforderungen nicht bestehen können. Kampf gegen Autos ist demnach heute vor allem Rückschritt, solange nicht andere Transportmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die mindestens die gleiche Mobilität ermöglichen, perspektivisch müßten sie eine immens verbesserte Mobilität für immer breitere Kreise ermöglichen, und das zu geringeren Kosten als der motorisierte Individualverkehr jetzt. Dann würden auch die meisten früher oder später von selbst umsteigen wollen. Und es sollte an der weltweiten Verbreitung davon gearbeitet werden. Das muß nicht unbedingt das Auto sein, wie wir es heute kennen. Aber das traue ich der derzeitigen Gesellschaftsordnung ehrlich gesagt nicht mehr zu. Und um für die nötige gesellschaftliche Veränderung politisch aktiv zu sein, gerade auch wenn man kein Privilegierter ist, ist eine größere Mobilität erforderlich und sinnvoll - und die erfordert nun einmal unter gegenwärtigen Bedingungen zumeist das Auto.

 

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