Internet Statement 2017-110

 

 

Ein weiterer Grund, warum Wladimir Putin gegenwärtig über die Oktoberrevolution lieber die Klappe hält

 

   

Maria Weiß  16.10.2017    

Es gibt zwei Fragen bei jeder Revolution, die von fundamentaler Wichtigkeit sind und wo es schwer fällt zu sagen, die eine ist die Wichtigere, die andere ist zweitrangig oder eben umgekehrt. Ganz schlecht ist es aber, wenn diese beiden sich zum Teil konträr gegenüberstehenden Probleme einander ausschließend diskutiert werden, geschweige denn, daß man sie so lösen kann.

 

Nehmen wir das Beispiel der Ukraine.

 

Das Ganze ist hier ohne eine Lösung der gesellschaftlichen Fragen kaum zu lösen, denn unter einer bürgerlich-egoistischen Kultur wird immer das an die erste Stelle gesetzt, was man eben in seinem eigenen Bereich findet, an was man hängt. Das ist dann eben in solch einem zusammengewürfelten Staat oder Staatengemeinschaft besonders schwierig, weil es das trennende Moment an die erste Stelle setzt. Die Ukraine ist ein sehr gutes Beispiel für diese Problematik. Sie ist gegenwärtig weit davon entfernt, eine richtige Lösung gefunden zu haben. Das ist allerdings auch gar nicht so einfach.

 

Die Ukraine hat verschiedene historisch bedingte „natürliche“ innere Unterteilungen. Das eine ist die Westukraine, früher teilweise zu Österreich gehörend, auch zeitweilig ganz oder zum Teil zu Polen bzw. Polen-Litauen gehörig, und das andere ist die Ostukraine, die schon seit sehr langer Zeit besonders enge Verbindungen mit Russland hat. Dazwischen liegt noch Kiew, und Kiew hat erst recht historisch betrachtet enge Verbindungen mit Russland. Die Kiewer Rus bildet geschichtlich betrachtet ein Kernelement dieses Russland als staatlicher Einheit. Aus dieser Gegensätzlichkeit resultieren auch verschiedene kulturelle Richtungen als auch bewußtseinsmäßig unterschiedliche Orientierungen. Das Problem besteht darin: wie will man so etwas zusammen bringen? Oder besser gefragt: wie will man verhindern, daß es gegeneinander ausgespielt wird durch zerstörerische Kräfte sei es im Innern als auch von außen?

 

Die russische Revolution hat diese Fragen gewissermaßen erst mal an den Rand gedrückt und ganz andere, soziale Fragen an die erste Stelle gesetzt: die Befreiung der Arbeiter und der Bauern aus dem Joch des Zarismus als auch die Probleme des Aufbaus einer neuen Gesellschaft. In dem Moment aber, wo die Dynamik aus dieser Aufgabe entschwindet, weil führende Kräfte am Werk sind, die das nicht mehr leisten können oder auch nicht wollen, wie zum Beispiel Chruschtschow, da sieht die Sache dann ganz schlecht aus für die kulturellen Probleme und ihre Lösung, da ist es ganz leicht möglich, daß ein solcher Staat, bzw. eine solche Staatenverbindung auseinander fällt. Nicht ohne Grund hat dieser Chruschtschow die Schnapsidee besessen, der Ukrainischen SSR die Krim zu schenken. Das nur nebenbei. Es wurde bereits des öfteren behandelt.

 

Die kulturellen Fragen aber, die aus diesen historisch gewachsenen Problemen resultieren, darf man gar nicht unterschätzen, und es ist auch kein Wunder, daß ausländische Kräfte des Imperialismus, welche selbst ein Expansionsbestreben nach Osten haben, dieses Problem für sich zu nutzen versuchen.

 

 

Momentan scheint in der Ukraine, jedenfalls in den westlichen Teilen, die Literatur zu boomen. Die Frankfurter Allgemeine vom Montag den 16. Oktober bringt einen ganz interessanten Artikel dazu, welcher heißt: „Die Folgen der Revolution – ein Leseboom.“ In diesem Artikel wird die oben von mir skizzierte Problematik indirekt auf das Tapet gesetzt und es wird deutlich, daß es gar nicht so einfach ist, dafür eine Lösung zu finden. Es mag ja sein, daß in den westlichen Teilen der Ukraine sich die kulturellen Bestrebungen stärker nach Westen hin orientieren, aber was ist denn mit dem Osten des Landes? Will man den Osten abtrennen und Russland überlassen? Das kann doch auch nicht eine richtige Lösung sein, wenn man denn überhaupt die heutige Ukraine noch als Ganzes erhalten will, als Staatengebilde, welches sich aus der russischen Föderation heraus gelöst hat und gewissermaßen zur Selbstständigkeit als eigener Staat strebt. Wie soll man denn diese Probleme in Angriff nehmen, ohne eine Spaltung zu riskieren? Das ist auch eine Frage für die Kultur und auch eine Frage für die Literatur. Man soll doch nicht glauben, daß man sich darüber keine Gedanken machen braucht. Man muß sich auch über das Ganze Gedanken machen, was denn sonst? Ansonsten wäre doch die ganze Unabhängigkeit der Ukraine nichts wert, wenn man nicht einmal imstande wäre, diese zusammenzuhalten oder erst einmal zusammen zu führen. Das ist eine Herausforderung, die bestehen bleibt, das kann man nicht einfach abtun.

 

In dieser Westukraine gibt es auch eine ganz erheblich parasitäre Schicht, die bis weit in die Regierung hinein reicht. Sie lassen sich von der Ostukraine die Energie liefern durch deren harte Arbeit, scheren sich aber selbst einen Dreck um Integration. Daher liegt es auf der Hand, daß eine solche Politik die Spaltung des Landes nicht nur riskiert, sondern selbst begünstigt.

 

Der oben erwähnte Artikel ist vor allem deswegen interessant, weil er deutlich macht, wie schwierig es sein kann, mit kulturellen Fragen und Problemen in einer vorwärts führenden Weise umzugehen.

 

 

Über die Bedeutung der richtigen Behandlung von Kulturfragen hat schon Lenin sich viele Gedanken gemacht und einiges darüber geschrieben. Das Beispiel der heutigen Entwicklung in der Ukraine setzt diese Problematik erneut auf die Tagesordnung.

 

 

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