Internet Statement 2016-49

 

 

Der Putschversuch in der Türkei - ein seltsames Schauspiel

 

Wassili Gerhard 16.07.2016     

Bei dem „Putschversuch“ in der Türkei fällt drastisch auf, daß das überhaupt kein ernsthafter Putschversuch gewesen sein kann. Da sind eher ein paar untergeordnete Bauernopfer vorgeschickt worden, wie auch immer man sie dazu gebracht haben mag, aber eine wirkliche Vorbereitung für einen echten Militärputsch kann es kaum gegeben haben, so dilettantisch und hirnlos, wie das ganze abgelaufen ist. Den unteren Rängen muß natürlich einfach nur ein Befehl von höhergestellten Offizieren erteilt werden. Ein systematisches Vorgehen, wie man es an den Tag gelegt hätte, wenn man wirklich einen erfolgreichen Putschversuch unternehmen wollte, das ist nicht zu erkennen, obwohl das türkische Militär ja nach mehreren brutalen Machtübernahmen wissen muß, wie das geht. Der türkische „Tiefe Staat“, der vor keiner Niedertracht zurückschreckte und wenn nötig auch mit völlig verworfenen Elementen zusammenarbeitete, der auch mit den früheren Militärputschen in Zusammenhang zu sehen ist, ist da berüchtigt gewesen. Daß die Türken, auch die moderneren und fortschrittlicheren, soetwas nicht wiederhaben wollen, ist natürlich klar. Aber vielleicht sind sie gerade mit Hilfe solcher Elemente jetzt ausgetrickst worden.

 Von Erdogan wurde das ganze schon als „Segen Gottes“ gepriesen, Ministerpräsident Yildirim sagte in einer Rede, nach der Übersetzung im Fernsehen: die die versucht haben zu putschen, sind nun selbst geputscht worden. Ist das auch der verborgene Sinn des ganzen Geschehens, daß Kräfte „geputscht werden“ sollen, die Erdogan bisher nicht geschafft hat loszuwerden? Zum Beispiel ist die Auswechselung eines großen Teils der Richter schon angekündigt, ein paar Stunden nach der Überwindung dieses Theatercoups. Die haben wirklich nicht mitgeputscht, das könnte man in der kurzen Zeit auch garnicht ermitteln. Aber da hat wohl Erdogan schon seine Agenda in der Tasche, die er nun nur noch herausholen muß. Säkulare Richter kann er bestimmt nicht so gut gebrauchen. Das ist so deutlich, daß selbst unsere Medien - jedenfalls unmittelbar danach - hierzulande das teilweise in der Berichterstattung aufgreifen, statt laut Verschwörungstheorie zu schreien.

 Eine wirklich lächerliche Figur macht da Cem Özdemir, und all diejenigen die nun verkünden, Erdogan dürfe man nur an der Wahlurne abwählen. Wie bitte? Erdogan selbst macht das anders, wenn er jemanden los werden will. Der pfeift auf Wahlen, natürlich außer auf solche, die er gewinnt. Und zur Not greift er zu allen Mitteln, um das zu erreichen. Glaubt irgend jemand, daß sich Erdogan noch von Stimmzetteln beeindrucken läßt? Nur seine Gegner sollen schön brav mit dem Stimmzettel ihre Stimme (und ihren politischen Willen) abgeben?

 In der Nacht beim US-Nachrichtensender CNN, da war ein CIA-Experte, der damit prahlte, daß er Erfahrungen mit Militärputschen in mehreren Ländern hat. Der wunderte sich immer wieder, daß der Putschversuch (CNN sprach nur von Coup Attempt) nicht so aufgezogen wurde, als ob man Erfolg damit haben wollte. Er sprach davon, daß man entscheidende Kardinalpunkte eines Putsches außer acht gelassen habe. Besetzung der Sender und Ausschaltung der alten Machthaber sei das erste, was getan werden müsse. Das wurde aber nicht wirklich ernsthaft in Angriff genommen. Die türkische Filiale von CNN war selbst ein Beispiel. Sie sendeten die ganze Zeit live vom Geschehen und interviewten Augenzeugen überall im Land. Dabei verbreiteten sie ebenfalls die Aufforderung des Präsidenten, daß seine Anhänger auf die Strasse gehen sollten und den Ausnahmezustand mißachten, der von den Putschisten ausgerufen wurde. Auch verbreiteten sie, daß auch Oppositionskräfte den Putsch ablehnten, oder daß der Putschversuch nur von untergeordneten "minor" Militärkräften getragen wurde, die völlige Dilettanten seien. Damit fiel ihnen eine (mit-) Dirigentenrolle zu.

 Die ganze Zeit konnten sie das ungehindert verbreiten und trugen damit zum Scheitern bei. Schließlich, als auch der Naivste sich fragen mußte, ob denn diese komischen Putschisten nicht auch CNN sehen können, landete ein Hubschrauber und Soldaten forderten die Leute von der Redaktion vor laufenden Kameras auf, den Betrieb einzustellen, worauf diese seelenruhig ihren Kram zusammenpackten und aus dem Bild gingen."at gunpoint" hätten sie den Newstresen verlassen müssen, hieß es. Das war aber auch das Mindeste an Dramatik. Die Kamera blieb dann natürlich an und zeigte den leeren Newstresen. Relativ bald kamen Polizisten und verhafteten die Soldaten. Einfacher und wirksamer wäre es doch wohl gewesen, ihnen einfach den Strom abzustellen. Nach einer Stunde war das wieder vorbei und der Sender sendete wieder von dort.

In den Liveübertragungen konnte man sehen, daß die dort gezeigten Soldaten nicht entschlossen waren, den Ausnahmezustand durchzusetzen, was der CIA-Experte auch sogleich passend kommentierte: Wenn man nicht entschlossen sei, den Ausnahmezustand durchzusetzen und auch auf Angreifer zu schießen, dann werde es nichts mit einem Putsch. Das sei doch das Mindeste. („Terroristen in Militärkleidung“, „völlig vernebelt im Hirn“, wie Ministerpräsident Yildirim heute verkündet? Das erstere bestimmt nicht, das zweite allerdings schon eher.) Man hatte den Eindruck, daß das den Nachrichtenleuten schon bisweilen peinlich war. Man konnte auch in den Übertragungen sehen, daß die Soldaten nur in die Luft schossen und vor der Menge zurückwichen. Damit war auch nach der Meinung unseres Experten der Putsch gescheitert. So kann das nichts werden. Man konnte sehen, daß es deutlich erkennbare Rädelsführer gab, die die Menge dirigierten. Auch die wurden völlig in Ruhe gelassen. Dagegen konnte man den Eindruckgewinnen, daß die Soldaten, recht unsicher waren, wie sie sich verhalten sollten. Schließlich schlossen die Demonstranten z.B. Panzer oder Militärfahrzeuge ein und erkletterten sie. Verletzte oder gar Tote gab es bei der Praxis, vor den Demonstranten auf den Boden zu schießen. Dabei flogen allerdings Querschläger herum, die auch in die Menge gingen. Die Nachrichtenleute betonten angesichts der merkwürdigen Bilder mehrfach, das könne in anderen Landesteilen natürlich anders sein, dort könnten richtige Kämpfe stattfinden.

 Auch daß man den Flughafen ein paar hundert Demonstranten überließ, und so Erdogan die Gelegenheit gab, per Flugzeug nach Istanbul zu kommen, wo er aus seiner Zeit als Bürgermeister noch die meisten Anhänger hat, ist schon auffallend. Dort hielt er dann eine Rede mit martialischem Charakter. Vorher wurde der Flughafen mit bewaffneten Kräften besetzt, aber als die Besetzung des Flughafens wirklich wichtig wurde, da konnte er relativ einfach von ein paar hundert Demonstranten eingenommen werden. Auch die eingesetzten Flugzeuge wurden hauptsächlich dazu eingesetzt, mit Hilfe des Überschallknalles für eine aufpeitschende Geräuschkulisse zu sorgen. Daß das Parlamentsgebäude beschossen wurde, ist doch das Mindeste, um das ganze nicht zu lächerlich erscheinen zu lassen, erleichtert auch jetzt die Rhetorik, daß sich ausgerechnet Erdogan jetzt als Retter der parlamentarischen Demokratie aufspielen kann. Die Schäden sind vor allem von symbolischem Wert. Der Reichstagsbrand war eine gründlichere Arbeit. Aber die Nazis wollten sich auch später nicht im Reichstag als „Retter der Demokratie“ feiern lassen.

In der letzten Zeit hatten sich schon neue Umwälzungen auffallend angekündigt. Erdogan nahm neue Beziehungen mit Russland und Israel auf, hielt Reden gegen „Islamistische Söldner“, Kerry demonstrierte Einigkeit mit Putin in der Syrienfrage, ausgerechnet jener Kerry, der noch vor kurzem militärisches Vorgehen der USA gegen die Truppen Assads forderte, Erdogan will sich Assad wieder annähern, Hollande fordert zum Kampf gegen die „Al-Nusra-Front“ in Syrien auf, womit er bestimmt Saudi-Arabien und Qatar aufbringt. Da braut sich eine neue Konstellation zusammen. Welche Rolle da Erdogan einnehmen soll und welche Rolle dabei dieser seltsame Putsch - aber echte Putsch seitens Erdogan - einnimmt, das muß weiter verfolgt werden.

 

 

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