Internet Statement 2015-51

 

"Nation Building" mitten in Europa?

- die zweite große Verwerfungswelle
- die Rolle der Türkei

 

Maria Weiß   03.10.2015     

Gegenwärtig haben wir hier die zweite riesige Verwerfungswelle in unserem Land durch die Bourgeoisie. Während der eigene Nachwuchs mittels „Gender“-Theorie und Rauschgift versaut und tendenziell weiter dezimiert wird, läßt man „frisches Blut“ aus dem Ausland einfließen, um dem Kapital im eigenen Land auch weiterhin die maximale Ausbeutung zu sichern.

Über die Hälfte der Flüchtlinge sind unter 30 Jahre alt, achtzig Prozent davon sind junge Männer. Das bedeutet, daß in unserem Land die ganze nachwachsende Schicht eine andere Zusammensetzung haben wird. Die nächste nachwachsende Generation wird quasi ersetzt, oder auch mehrere, ganz ähnlich wie es in den 1960er Jahren schon mit der Arbeiterklasse in Deutschland geschehen ist. Der Grund ist auch ein ähnlicher wie damals, eine Art Austausch revolutionären Potentials. Wenn sich das dann noch mit religiösen oder ethnischen Auseinandersetzungen kombiniert, dann haben wir exakt das, was sich gewisse US-Militärstrategen insgeheim wünschen, oder, wie es einige von deren Politikern offen ausdrücken, eine Art „Dreißigjährigen Krieg“ in Mitteleuropa, was inzwischen offenbar auch dem Grünen Cem Özdemir aufgefallen ist, nur zieht er leider die falsche Schlußfolgerung. Zu recht sehen andere europäische Staaten in einem solchen Potential eine nicht unerhebliche Gefahr und verweigern sich der - vor allem von Merkel und gewissen Spitzen der EU-Kommission verlangten - Quotenregelung für die Aufnahme von Flüchtlingen..

Wer aber hat an einer solchen Verwerfung des eigenen Nachwuchses vor allem ein Interesse? Und wessen politisches Kalkül ist es, was sich hier zu vollziehen droht? Es ist nicht nur die eigene Bourgeoisie, welche sich vorwiegend soziale Auseinandersetzungen vom Hals halten möchte. Es sind heute vor allem auch bestimmte internationale Mächte, die USA, auch Rußland und selbst China, die neue revisionistische Großmacht, welche mit offen zur Schau getragenen imperialistischen Bestrebungen heute ebenfalls in dem Kreis international konkurrierender Mächte zu finden ist.

Es stellt sich daher dringend die Frage, welche Strategie von uns, von fortschritlichen, revolutionär gesinnten Menschen demgegenüber entwickelt werden kann und sollte.

Vor allem die oben skizzierte Strategie des USA-Imperialismus hatte ihre Anfänge bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und ist seitdem deutlich erkennbar hervorgetreten, zuweilen auch im Verbund mit Großbritannien, spätestens seit dem Ende des 19. und dem Anfang des nächsten, des 20. Jahrhunderts , vor allem davon profitierend, daß die Sozialdemokratie in Deutschland sich weitgehend an die Bourgeoisie verkauft hatte. (Das tut sie übrigens gegenwärtig auch wieder, sofern sie nicht selber längst voll dazu zu zählen ist, gefolgt von Revisionisten und Pseudomarxisten, und zwar mit nicht geringer Empathie!)

Zurück zu der obigen Darstellung. Die kinderreiche ärmere Schicht in Deutschland ist einer solchen Politik gegenüber politisch weitgehend ohnmächtig, als auch der Gefahr ausgesetzt, sich rechten Kräften anzunähern, da sie sich politisch wenig engagiert und auf der anderen Seite in den bislang etablierten Parteien und Organisationen keine Vertretung findet. Dieser Umstand wird seit einiger Zeit bereits von diversen rechten Kräften und Parteien ausgenutzt, was nicht ungefährlich ist. Die sogenannte Intelligenz, zumeist repräsentiert von der eher konservativen Mittelschicht, ist hingegen sowieso weitgehend kinderarm, wenn nicht gar kinderlos geblieben, und von daher weit weniger dem gesellschaftlichen Druck ausgeliefert..

Man darf es nicht unterschätzen, was hier passiert ist. In der gegenwärtigen Entwicklung verbergen sich erhebliche Gefahren für die Gesellschaft als Ganzes. Es gibt zwar auch politische Kräfte innerhalb der herrschenden Schicht, die dieses sehen, aber sie sind zumeist isoliert, entweder personell oder auch, weil sie auf nur auf wenige Bundesländer konzentriert sind. Obendrein paart sich deren Kritik nicht selten mit einem provokativ zur Schau getragenen egoistisch-abgehobenen bürgerlichen bis rechten Standpunkt, welcher ebenfalls nicht mehrheitsfähig ist. Hieraus ergibt sich eine hochbrisante Situation, die leicht entgleiten kann, was unter bestimmten Bedingungen weiterer Zuspitzung gerade gewissen internationalen Mächten zupaß kommen dürfte.

Wie sieht die gegenwärtige Konstellation in Europa aus?
Die Rolle der Türkei

Während hierzulande vor allem Ungarns Victor Orban in der Kritik steht, wegen seines ungebremsten Durchwinkens hunderttausender Flüchtlinge, die aus den Lagern vor allem der Türkei nach Europa, vor allem nach Deutschland strömen, bleibt die Tükei, und namentlich die türkische Regierung, bislang weitgehend im Hintergrund, obwohl die weit überwiegende Mehrheit der jetzigen Flüchtlingswelle zum allergrößten Teil ihren Ursprung in den türkischen Flüchtlingslagern genommen hat. Diesen Umstand sollte man näher unter die Lupe nehmen, denn er enthält eine gewisse Brisanz.

Die Türkei ist bekanntlich ein NATO-Mitglied. Noch bis vor kurzem hat sich Präsident Erdogan jedoch geweigert, sich in wirkungsvoller Weise am Kampf gegen den „IS“ zu beteiligen, da er diesen offenbar als ein nützliches Mittel im Kampf gegen das ungeliebte „Assad-Regime“ in Syrien betrachtete und für seine Rivalität diesem gegenüber ausnutzte, was von den übrigen NATO-Staaten, allen voran den USA, über längere Zeit mit relativer Gelassenheit hingenommen wurde. Das Ergebnis dieser doppelten türkischen Politik tritt nunmehr unverhohlen hervor: Indem Herr Erdogan (oder auch Herr Davutoglu) sozusagen die Schleusen seiner Flüchtlingslager geöffnet hat und die Hunderttausenden bis Millionen von Menschen, die dort vor allem aus Syrien und dem Irak Aufnahme fanden, nunmehr Richtung Europa strömen und – dank Angela Merkel- vor allem Deutschland dabei als Ziel vor Augen haben, sinnt die türkische Regierung selber vor allem darauf, die dadurch geschaffene Erleichterung für eigene, teils auch innenpolitische Ziele zu nutzen. Man weiß, warum das so ist.

Was hier zunächst als widersprüchlich erscheint, ergibt durchaus einen Sinn. Zuerst hat Erdogan den sogenannten „IS“ und seinen Terror dazu benutzt oder jedenfalls ,über längere Zeit hinweg mehr oder wenige geduldet, nicht nur um den Druck auf Assad zu erhöhen, sondern vor allem den Effekt zu verstärken, daß Menschen millionenfach aus Syrien und dem Irak herausgetrieben wurden und in den Lagern der Türkei „großmütig“ Schutz fanden, was wiederum den Westen besänftigte. Und nun war es ein Leichtes, diese Menschenmassen , die über längere Zeit unter äußerst schlechten Bedingungen in diesen Lagern hausen mußten, zu einem bestimmten passenden Zeitpunkt zu Millionen in Richtung Europa „ziehen zu lassen“, vor allem Richtung Deutschland, in welchem die oberste politische Spitze sich auch entsprechend verhält. Und hier schließt sich eben der Kreis. Die Türkei steht auf einmal nicht mehr unter Druck, weil sie den IS unterstützt, sondern im Gegenteil, man bewundert ihren Großmut, so viele Flüchtlinge bei sich aufgenommen zu haben! Und es versteht sich dann doch von selbst, daß man diese nunmehr seinerseits bereitwillig aufnimmt, um die Türkei von dieser schweren Belastung zu erleichtern! Nun ja, politische Dummheit und politisches Kalkül liegen zuweilen ganz dicht beieinander.

Für Erdogan jedenfalls hat diese Wendung den gewünschten Effekt, über die einströmenden Menschenmassen nach Deutschland ganz nebenbei auch den Islam in Deutschland weitergehend zu verankern, hat er doch bereits, vor allem im Ruhrgebiet, eine ganz beträchtliche eigene Wahlbasis erreicht (man stelle sich vor: in Deutschland lebende Migranten mit türkischem Hintergrund dürfen an den Wahlen in der Türkei teilnehmen! Erdogan darf sogar im Ruhrgebiet, in Duisburg oder auch in Köln, Wahlauftritte vor Tausenden türkischer Migranten abhalten!) Da kommt es doch recht gelegen, wenn man diese Auslandsgemeinde noch ein wenig durch weitere zig Tausende islamische Syrer und Iraker verstärkt. Kann jedenfalls nichts schaden, wenn es nach der türkischen Regierung geht, die selbst im eigenen Land bestrebt ist, den Islam weiter fest im Staatsgefüge zu verankern, als auch ihren Einfluß in dem ganzen Gebiet des Mittleren Ostens auszubauen, Rückschläge wie mit Mursi inklusive! So denkt man, könne man wenigstens einige Ergebnisse, die man sich vom „arabischen Frühling“ erhofft hatte, nun nachträglich, wenn auch auf etwas andere Weise, doch noch einfahren.

Der türkische proletarische Revolutionär Ibrahim Kaypakkaya hat schon zu Beginn der 1970ger Jahre vor einer solchen Politik gewarnt, indem er zur damaligen Zeit den millionenfachen Abzug türkischer Arbeiter aus der Türkei Richtung Deutschland kritisierte und es als ein Mittel zur Bekämpfung revolutionärer Entwicklungen in beiden Staaten brandmarkte. Kaypakkaya wurde damals von türkischen Faschisten ermordet. Seine politische Voraussicht aber hat sich in einer ungeheuer deutlichen Weise bewahrheitet.

Welche Schlußfolgerungen sollten wir ziehen?

Die USA , aber auch Putin in Rußland und vielleicht auch noch weitere internationale Großmächte sehen diese Entwicklung gegenwärtig eher mit einem lachenden als mit einem weinenden Auge, weil sie ihren eigenen Absichten bezüglich Europa entgegen kommt, bzw. geeignet zu sein scheint, dieses zu tun. Daher ist auch nicht verwunderlich, daß es gegenwärtig wieder eine gewisse Annäherung dieser beiden ansonsten extrem konkurrierenden Mächte zu geben scheint, welche sich vor einem halben Jahr noch kaum jemand hier hätte vorstellen können. Ob das allerdings von Dauer sein wird und ob es überhaupt Ergebnisse zeitigt, und welche, das bleibt abzuwarten.

Linke und revolutionäre Kräfte in unserem Land, sofern es sie überhaupt in nennenswerter Zahl gibt, sollten sich vor einem falsch verstandenen Internationalismus hüten. Wenn der grüne Politiker Özdemir einen „europäischen Islam“ fordert, dann ist das nichts weiter als Zuarbeit für die oben genannten internationalen Konkurrenten als auch für die aufstrebende reaktionäre Regionalmacht Türkei. Mit sozialem Fortschritt sowohl in der Türkei als auch in Deutschland oder irgendeinem anderen europäischen Land, oder auch in arabischen Ländern, hat das rein gar nichts zu tun. Und in unserem eigenen Land, in Deutschland, steckt seit längerem der soziale Fortschritt quasi von zwei Seiten in der Zange. Zum einen durch die Propaganda für die Perversion, und zum anderen durch die fortschreitende Islamisierung der gesellschaftlichen Institutionen. Diese beiden Pole betreiben eine permanente Spaltung der Gesellschaft, zwischen denen diejenigen Bevölkerungsteile, welche zu Unruhe und Widerstand neigen, aufgerieben werden sollen. Dem muß mit Entschiedenheit begegnet werden.

 

 

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Maria Weiß
IS 2015-50   

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Heinz Buschkowsky oder Die Wahrheit ist immer konkret    
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Hartmut Dicke:

Proletarische Revolution und nationale Frage
   
Die Doppellage im Ausgang des 1.Weltkrieges
22. März 2008   

 

Die Verhandlungen der europäischen Union mit der Türkei
Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge (II)     IS 2006-14

 

Hartmut Dicke
Die Frage der politischen Entwicklung in Deutschland, die Klassenfrage und die nationale Frage

Dieser Artikel von Hartmut Dicke wurde zuerst diktiert im Jan.05, bearbeitet 2005/2006, und wurde Anfang 2007 in der Zeitschrift Neue Einheit
1/2007 veröffentlicht.