Internet Statement 2011-01

 

Der Volksaufstand in Tunesien

Uwe Müller 23.1.2011       

Alle Welt schaut derzeit gebannt auf Tunesien, und das mit Recht. Ausgelöst durch die Selbstverbrennung des 26-jährigen Mohamed Bouazizi am 17. Dezember hat sich der Protest und die Rebellion gegen das korrupte, mafiotische, volksfeindliche und diktatorische Regime vom Landesinneren aus ausgebreitet und das ganze Land in Aufruhr und das Regime in Angst und Schrecken versetzt. Der brutale Terror der Polizei mit gezielten Tötungen von Demonstranten, Plünderungen und Brandstiftungen konnte den Aufstand der großenteils jungen Volksmassen nicht aufhalten.

Der Volksaufstand in Tunesien hat einen ersten Sieg davongetragen – Ben Ali und seine Frau haben am 14. Januar fluchtartig das Land verlassen und sind ins Exil nach Saudi-Arabien geflohen. Das Ben-Ali-Regime ist zu Ende. Das ist ein großer Erfolg des tunesischen Volkes, der seine Auswirkung nicht bloß auf die arabischen Staaten hat und haben wird.

In Tunesien rebelliert die Jugend, eine ganze Generation, gegen die Massenarbeitslosigkeit und vor allen Dingen gegen die damit einhergehende Perspektivlosigkeit. Sie rebelliert gegen die Willkürherrschaft, gegen die politische Rechtlosigkeit und gegen die unerträglich gewordene Korruption und grenzenlose Bereicherungssucht des Regimes. In Tunesien gibt es viele Hunderttausende junge, gut ausgebildete Menschen mit Studienabschluß, die aber dennoch keine Arbeit finden und sich mit prekären Aushilfsjobs über Wasser halten müssen (die sog. „chômeurs diplômes“). Nur wer beste Beziehungen hatte und sich dem System vollkommen unterworfen hat, konnte auf eine Stelle im Staatsapparat hoffen oder in der weitgehend vom Regime dominierten und kontrollierten Wirtschaft eine der Ausbildung entsprechende Arbeit finden.

Es ist kein Zufall, daß sich der Aufstand an der Selbstverbrennung des Mohamed Bouoazizi entzündet hat. Der 26-Jährige mußte sein Studium aufgeben, um Geld für die Familie zu verdienen. Mit Mühe und Not schlug er sich als Verkäufer von Obst mit seinem Handkarren durch. Immer wieder wurde er dabei von der Polizei wegen fehlender Lizenz schikaniert und der Waren beraubt oder mit Strafen belegt. Bis er diese Willkür und Ausweglosigkeit schlichtweg nicht mehr ertragen konnte. Nur allzu gut konnte die Mehrheit der Bevölkerung das nachvollziehen, geht es allzu Vielen doch ganz genauso. Ein Regime, das junge Menschen zu solchen Verzweiflungstaten treibt - das muß weg! Das schien der allgemeine Tenor zu sein. Ein 15-jähriger wurde zitiert, der seine Ziele auf die kurze Formel „Wir wollen, Freiheit, Brot und Arbeit!“ brachte.

Zur ganzen Perspektivlosigkeit vieler Junger hinzu kommen die Folgen der Weltwirtschaftskrise und die steigenden Lebensmittelpreise. Selbst für diejenigen, die Arbeit in der Fabrik, in der Landwirtschaft oder im Tourismus haben, wird das Leben, ja das Überleben, immer schwieriger. Das Lohnniveau ist niedrig, der Durchschnittslohn beträgt grade mal 250€, der gesetzliche Mindestlohn liegt bei nur 100€.


Ben Ali ist geflüchtet. Vollständig geschlagen sind die Kräfte des Regimes aber noch nicht. Die eiligst gebildete Übergangsregierung, die bis zu den Wahlen amtieren soll, besteht in den entscheidenden Positionen nach wie vor aus Anhängern des Regimes und der RCP. Von Demokratie, selbst im bürgerlichen Sinne, kann noch keine Rede sein. Die Proteste halten auch unvermindert an, der Kampf um die Zukunft des Landes geht weiter, und das ist auch notwendig. Noch immer marodieren Ben-Alis Milizen und Polizisten in Uniform und Zivil im Land, plündern und schießen um sich und versuchen Angst und Chaos zu verbreiten. Das Volk aber weiß sich zu wehren. Überall wurden Bürgerwehren, die sog. Wachsamkeitskomitees, gegründet. Sie haben Barrikaden errichtet und kontrollieren und versuchen, ihre Stadtviertel zu schützen.

Das korrupte Willkürregime ist gestürzt. Das ist gut, aber nur der Anfang. Welches sind die politischen Kräfte, die die demokratische und soziale Bewegung (oder Revolution) in Tunesien jetzt weiter vorantreiben? Was sind deren Ziele?

Welche Programme, welche Konzepte haben die verschiedenen Parteien und Organisationen für die Entwicklung des Landes? Welche Schichten und Klassen vertreten sie?

Beim Sturz des Regimes spielten Islamisten keine große Rolle, wird das so bleiben? Welche Rolle nimmt die Armee ein? Sie steht bislang auf Seiten des Volkes.

Welche Rolle spielen die Gewerkschaften? Es heißt, sie haben eine starke organisatorische Position inne (der Gewerkschaftsverband UGTT soll 500.000 Mitglieder haben) und großen Anteil am Erfolg des Volksaufstands. Allerdings hat deren Führung jahrelang teilweise eng mit dem Regime kooperiert. Die 3 Minister seitens der UGTT immerhin, die anfänglich mit in der Übergangsregierung waren, sind aufgrund massiver Proteste von Gewerkschaftern wieder ausgetreten.

Welche Arbeiterparteien bzw. kommunistische Parteien gibt es in Tunesien und was vertreten sie in dieser Situation? Die wohl einflußreichste soll die bislang verbotene PCOT sein, mit dem Vorsitzenden Hamma Hammami.

Welche Politik gegenüber Tunesien betreiben nun die ausländischen Stützen des alten Regimes (EU, Frankreich/Italien, USA usw.)?

Fragen über Fragen, die von hier aus und so schnell nicht beantwortet werden können. Vieles wird sich auch erst in der weiteren Entwicklung und Auseinandersetzung klarer zeigen. Nur eines kann man mit Sicherheit sagen: Der Kampf um Demokratie und der soziale Kampf um Perspektiven für die Jugend und für das Volk ist nicht vorbei. Er hat erst angefangen und wird in Tunesien auch weitergeführt werden.

 

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