Internet Statement 2009-04

 

Siemens-Ausstieg aus Areva?
Ein Tiefschlag gegen die kerntechnischen Potenzen und die industriellen Entwicklungsmöglichkeiten

Walter Grobe 25.1.2009        

 

Am 23. Jan. wurde das Thema des möglichen Ausstiegs des Siemens-Konzerns aus der Beteiligung an dem französisch-deutschen Nuklearkonzern Areva in einer Reihe von Zeitungsmeldungen und engagierten Kommentaren verschiedener Orientierung plötzlich stark aktualisiert. Sollte der Aufsichtsrat von Siemens, wie es als wahrscheinlich hingestellt wurde, demnächst seine 34%ige Beteiligung an Areva aufgeben, dann hätte das erhebliche politische Bedeutung. Es gäbe dann keine bedeutende deutsche Firma mehr, die sich noch im Bau von kerntechnischen Anlagen, in der Herstellung von Brennelementen und in der technischen Weiterentwicklung auf diesen Gebieten betätigen würde.

Was aus den Standorten der Areva in Deutschland würde, in denen noch über 4000 kerntechnische Spezialisten arbeiten, die immerhin noch zu einem gewissen Teil die Entwicklung der Kerntechnik mit weiterführen, die früher in diesem Land einen internationalen Schwerpunkt hatte, ist unklar. Es fragt sich, ob Areva im Erhalt dieser Einheiten einen Sinn sehen würde, wenn es zu einem rein französischen Unternehmen würde. Man geht wohl nicht zu weit zu vermuten, daß in diesem Fall einige politische Motive wegfallen würden, die nicht unbedeutenden Standorte von Areva in Deutschland aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln, auch unter dem Aspekt, daß solche maßgeblichen Vertreter des deutschen Kapitalismus wie Siemens und möglicherweise auch die deutsche Regierung kein Interesse daran zeigen und der Ökowahn hier noch immer dominiert.

Es wird in manchen Artikeln behauptet, daß Siemens im Gegensatz zu dem Eindruck, den die Auflösung der Allianz mit Areva macht, nicht den Ausstieg überhaupt aus dem Bau von Kernkraftwerken beabsichtige. Es sei sogar im Gegenteil an eine Ausweitung der kerntechnischen Aktivitäten gedacht, und weil Siemens in Wirklichkeit dafür innerhalb seiner Juniorpartner-Rolle bei Areva zu wenig Möglichkeiten der Mitgestaltung und des Mitprofitierens sehe, werde die Trennung betrieben. Von verschiedenen Schreibern wird in diesem Zusammenhang eine mögliche Zusammenarbeit von Siemens mit dem russischen Staatsunternehmen Atomenergoprom angeführt, das KKW errichtet. Hier könne sich Siemens gleichberechtigter als bei Areva beteiligen und zusammen mit dem russischen Konzern an der erhofften weltweiten Welle des Neubaus von KKW mitprofitieren. Diese Perspektive, wenn sie überhaupt in dieser Form existiert, hat allerdings bereits nach den ersten vorliegenden Berichten einige Haken. So wird in verschiedenen Artikeln es recht deutlich, daß bei der möglichen Beteiligung an Atomenergoprom Siemens sich auf die nichtnuklearen Komponenten der Kraftwerke beschränken würde wie Turbinen, Generatoren und Leittechnik. An der eigentlichen Nukleartechnik und ihrer Weiterentwicklung, den Reaktoren, den Brennelementen, an der enormen wissenschaftlich-technischen Weiterentwicklung, die auf diesen Gebieten stattfindet, wäre Siemens demnach nicht beteiligt, im Gegensatz zur noch bestehenden Beteiligung an Areva. Selbst im Falle der Beteiligung an dem russischen Unternehmen käme es also zu einer weiteren Herabstufung oder sogar Liquidation der kerntechnischen Betätigung durch Siemens. Abgesehen davon sind strategische Allianzen mit russischen Staatsunternehmen und dem russischen Staat ohnehin in ganz anderem Maße problematisch als mit Konzernen innerhalb der EU und insbesondere mit französischen Konzernen. Eine wesentliche strategische Allianz innerhalb der EU mit der Allianz mit einer Möchtegern-Supermacht außerhalb der EU zu vertauschen, eröffnet Risiken von ganz anderer politischer und auch wirtschaftlicher Dimension.

Es heißt, daß Siemens unzufrieden sei mit dem Gesellschaftsvertrag mit Areva, weil er dem Siemens-Konzern wesentlichen Einfluß auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens Areva und Beteiligung an den großen Profiten aus dem Brennelemente-Geschäft verbiete. Ausschließen kann man wohl nicht, daß solche Einschränkungen vorliegen. Aber es muß auch die Frage erlaubt sein, woher sie eigentlich kommen und in welchem Sinne Siemens hier mangelnden Einfluß beklagt. Es sind Zweifel angebracht, ob es im Siemens-Konzern tatsächlich durchgreifende Bestrebungen gibt, sich wieder stärker im Kernenergiegeschäft zu engagieren. Die skizzierten Modalitäten des russischen deals deuten darauf nicht hin. Und wie war denn die Rolle des Siemens-Konzern, als in Deutschland die Regierungen nicht nur von rot-grün, sondern auch von CDU-CSU und FDP seit Ende der 80er Jahre die Kernenergie zunehmend offen zum Auslaufmodell erklärt haben und die entsprechenden Festlegungen wie den sog. Ausstiegskonsens von 2000 und das Verbotsgesetz gegen die Errichtung neuer KKW hingewürgt haben? Nie war vom Siemens-Konzern eine auch nur halbwegs deutliche Stimme zur Verteidigung der Kernenergie und damit eines damals noch ganz wesentlichen Konzernbereichs zu vernehmen, nie hat es ernsthafte und beharrliche Versuche des Konzerns und der damit verbundenen Managementzirkel und Banken gegeben, gegenzusteuern, bspw. auch im Sinne der Weiterentwicklung der Kernenergie an der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken, und es gab keinerlei nennenswerten Widerstand, als die Brennelemente-Produktion (Hanau) Ende der 80er Jahre liquidiert wurde, es gab und gibt keinerlei erwähnenswerten Druck des Siemens-Konzern, das Verbot des Neubaus von KKW in Deutschland aufzuheben. Im Gegenteil. Der Siemens-Konzern und die damit verbundenen Banken haben immer den Eindruck erweckt, als gehörten sie selbst mit zu den maßgeblichen Liquidatoren, als seien sie im Grunde mehr oder weniger einverstanden mit der Verlagerung der Stromproduktion aus Kernenergie in andere Länder und mit dem Ruin der wissenschaftlichen und technischen Basis der Kerntechnik im eigenen Lande. Von daher kann man hinter solche Klagen über angebliche gravierende Einschränkungen eigener nuklearer Ambitionen im Verbund mit Areva nur dicke Fragezeichen setzen. Es liegt der Verdacht nahe, daß sie der Rechtfertigung von weiteren dubiosen Manövern der Siemens-Spitze dienen. Mitarbeiter aus den kerntechnischen Bereichen des Siemens-Konzern haben häufig durchblicken lassen, daß sie bei den Führungen dieses Konzerns immer ungeliebt waren.

In verschiedenen Berichten wird auch die Rolle des französischen Präsidenten Sarkozy beleuchtet, der seit längerem das Ausscheiden von Siemens aus Areva betreibe und einen rein französischen Konzern unter stärkerer Beteiligung anderer französischer Kapitalgruppen anstrebe. Sarkozy habe allerdings, so heißt es auch, in diesem Bestreben Gegenwind sowohl von der Areva-Chefin Anne Lauvergeon als auch der Bundeskanzlerin erfahren, der er bereits 2007 auf deren Intervention zugesichert habe, daß Siemens Gesellschafter von Areva bleiben könne. Wir können durchaus unterstellen, daß es weiterhin auf französischer Seite solche Tendenzen gibt – die im übrigen ein leichtes Spiel haben, sich mit der deutschen Ausstiegspolitik zu rechtfertigen -, aber offensichtlich gibt es demgegenüber massive Gründe sowohl auf deutscher wie französischer Seite, die Allianz fortzusetzen, und auch politische Kräfte, die dies betreiben. Entscheidend negativ platzt in diese Konstellation dann allerdings das Verhalten von Siemens hinein. Bei Siemens dürfte die Hauptverantwortung für den Bruch liegen.

Fragwürdig ist auch die Rolle der deutschen Regierung in diesem Zusammenhang. Bis vor kurzem war die Bundeskanzlerin Merkel mit der SPD-Führung in der strikten Einhaltung des sog. Kernenergie-Ausstiegs ein Herz und eine Seele und blockierte in ihrer eigenen Partei sämtliche Regungen, hier wenigstens zu teilweisen Änderungen zu kommen. Erst im Verlauf des Jahres 2008 gab es die eine oder andere – wie immer unverbindliche – Äußerung Merkels, gewisse politische Änderungen auf niedrigstem Niveau wie die Verlängerung von Laufzeiten zu erwägen. Jetzt geht es darum, die Fortsetzung einer gewichtigen Partizipation deutscher Unternehmen an der Weiterentwicklung der Kerntechnik, und zwar auch an deutschen Standorten gemeinschaftlich mit dem hiesigen Potential an Wissenschaftlern und Fachleuten zu ermöglichen. Es müssen Versuche unternommen werden, zu Regelungen mit der französischen Regierung zu kommen, die der deutschen Seite eine angemessene weitere Beteiligung an der kerntechnischen Entwicklung durch französische Unternehmen garantieren. Vielleicht ist es garnicht schlecht, wenn der im obersten Management durch und durch von einer faulen Gesinnung beherrschte Siemens-Konzern ausscheidet und andere Kapitalgruppen mit einer anderen Interessenlage, die weniger liquidatorisch ist, die Rolle übernehmen. Die deutsche Regierung ist erheblich mitverantwortlich für das, was jetzt unter dem Stichwort Siemens-Areva geschieht, und wird daran gemessen werden.

Solche Forderungen müssen auch deswegen gestellt werden, weil die Einheit der europäischen Union wesentlich auf der Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands auf allen möglichen Gebieten beruht, unter denen das wirtschaftliche und technische Gebiet große Bedeutung hat, wie Luft- und Raumfahrt (EADS) längst für alle unübersehbar beweisen. Die Kraftwerkstechnik hat wohl kaum geringere Bedeutung. Es kann keineswegs zugelassen werden, daß eine abenteuerliche Siemens-Politik auch noch zur Schwächung des europäischen Zusammenhalts, im aktuellen Falle gegenüber Russland, führt. Es mag, auch im Zeichen vermehrten erpresserischen Drucks der Obama-Regierung auf Europa, Gründe geben, es mit Russland gegenwärtig nicht zu sehr zu verderben und auch wirtschaftliche Beziehungen auszubauen, aber strategische Allianzen, die die eigene Unabhängigkeit gerade auf dem Energiesektor weiter unterminieren, gehören nicht zu den angemessenen Mitteln.

Das Verhalten der Siemens-Führung, die sich angeblich vom Ballast der Korruption gereinigt hat, aber in den kerntechnischen Fragen erneut dabei ist, sich als politisch korrupt wie eh und je und dem technischen Rückschritt zugeneigt zu präsentieren, wirft auch erneut die grundsätzlichsten Fragen auf, wie die Entwicklung der modernen Produktivkräfte und das kapitalistische System noch zusammenpassen oder ob sie nicht vielmehr zunehmend unverträglich werden. Für die Weiterentwicklung der Energietechnik, sei es Kerntechnik, sei es Fusionsforschung, sind enorme Kapitalmassen, staatliche Engagements und internationale Kooperation erforderlich. Allein das schon ruft nach internationaler Massendemokratie, die sich dieser Fragen bemächtigt. Konzernführungen wie die von Siemens zeichnen sich, wie auch nicht wenige andere, dadurch aus, die Kerntechnik mit ihrer enormen und immer weiter wachsenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung immer nur als Quelle staatlich garantierter Profite behandelt zu haben, nur soweit Interesse daran gezeigt zu haben, als diese Profite bequem flossen. In dem Maße aber, wie gesellschaftliche Weiterentwicklung auf Grundlage moderner Technik, soziale Umwälzungen auf der Grundlage der wissenschaftlich-technischen Revolution sich abzeichnen, waren und sind sie sofort auf der Seite der politischen Bremser und Liquidatoren der Technik zu finden. Erneut verweist ein Fall wie der von Siemens-Areva exemplarisch auf die ständig wachsende Unverträglichkeit des Kapitalismus mit der modernen gesellschaftlichen Entwicklung. Mit dem Staat, sofern er die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Sinne der Erhaltung der Klassenherrschaft zu deformieren die Aufgabe hat, stecken sie unter einer Decke.

Gefordert werden müssen Vereinbarungen zwischen Frankreich und Deutschland über den Erhalt der kerntechnischen Kapazitäten in Deutschland, soweit sie von Areva abhängen. Darüberhinaus muß klar sein, daß auch im Interesse der europäischen Entwicklung endlich der Bruch mit der deutschen Blockadepolitik gegenüber der Kerntechnik erfolgen muß. Die Ausstiegsvereinbarung mit den deutschen Stromkonzernen und das Verbotsgesetz müssen endlich weg. Mag sein, daß manche, darunter vielleicht auch Putin und die nicht wenigen Stimmen, die in der Energieallianz mit Rußland das Heil aus dem Osten kommen sehen, sich darüber nicht freuen würden. Sie sind aber nicht der Maßstab.


   

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