Internet Statement 2007-01

 

Der Aufschwung.
                    Mit einem Mal alles anders?

3. Januar 2007          

Gegenwärtig überschlagen sich regelrecht die Meldungen, daß Deutschland beim Aufschwung die Nr. 1 in Europa sei, das wettbewerbsfähigste Land in der Eurozone und anderes. Man zählt zwar offiziell noch 4 Mio. Arbeitslose, aber ein Anstieg der Beschäftigtenzahlen um rund 1,5% im Vergleich zu Ende 2005 hat angeblich eine grundlegende Wende angekündigt.

Dieses Land hat schon mehrfach kleinere Aufschwünge erlebt, wenn die Weltkonjunktur die Produktion und das Dienstleistungsgeschäft im Innern angezogen hat. Dabei wurden aber noch nie dauerhaft mehr Beschäftigte in Dienst genommen, und solche Konjunkturaufschwünge wurden nach kurzer Zeit wieder dementiert. Aber jetzt wird ein gewaltiges Werk an Zahlentünche durch die Medien geschickt, um das soziale Desaster und die tiefen Verwerfungen, die dieses Land hat, zuzudecken.
Die neuen Beschäftigungsverhältnisse beruhen zum einen auf einigen Industriezweigen wie dem Maschinenbau, in denen dieses Land große Fähigkeiten und Traditionen hat und die Weltkonjunktur tatsächlich einen nachhaltigeren Aufschwung bewirken kann. Einen gewissen Effekt haben auch vorgezogene Aufträge wegen der Mehrwertsteuererhöhung gehabt. Ein solcher Effekt hat für sich genommen noch keinen längeren Aufschwung als Ergebnis.

Ein erheblicher Teil der angeblichen Senkung der Arbeitslosenzahlen beruht auf den permanenten statistischen Tricks, durch das Rausstreichen der 1-Euro-Jobber und vieler Langzeit-Arbeitsloser (58er-Regelung) aus der Arbeitslosenstatistik.. Die Verminderung der Zahl der Arbeitslosen beruht nicht zuletzt auch auf dem Stellenwachstum in solchen Bereichen wie Leiharbeit, Minijobs, Teilzeitarbeit und prekären Arbeitsverhältnissen, die teilweise staatlich finanziert werden (Kurzarbeit, Alterteilzeit etc.) Oft sind befristete Verträge an die Stelle früherer fester Beschäftigungsverhältnisse getreten. Die Zahl der unbefristeten, nicht subventionierten Vollzeitarbeitsplätze sinkt hingegen weiter.

Zur Euphorie gibt es keinen Anlaß

Es ist ein Gerücht, daß dieses Land insgesamt eine Konjunkturlokomotive sein soll. Die Kreativität dieses Landes ist immer noch groß. Es wird ausgequetscht, um den Konzernen weltweit eine gute Position zu verschaffen, aber letztlich schlägt das alles gegen uns selbst, d.h. gegen die gewaltige Mehrheit. Mit dem Export von Technologie und dem Aufbau weltweiter Produktionsnetze durch die Unternehmen entstehen vorübergehend hier wieder Arbeitsplätze, zugleich aber werden die Beschäftigten in diesem Land ausgesaugt. Eine intensive Anstrengung um auf den umkämpften Märkten mitzuhalten, ist noch lange keine Garantie für die Festigung der eigenen Arbeitsposition. Nach den bisherigen Beobachtungen heißt es im Gegenteil oftmals nach einer erfolgreichen Arbeit: Das war sehr gut, das hat unsere Position gefestigt, aber nun brauchen wir Euch nicht mehr.
Nicht selten bekommen die Arbeitenden auch den Hinweis, sich im Ausland eine Arbeit zu suchen und dort ihr Wissen anzuwenden. Es gibt zahlreiche sehr gut ausgebildete Menschen, die keine Arbeit finden, von einem Praktikum zum nächsten wandern oder von einem kurzfristigen Beschäftigungsverhältnis zum nächsten. All das ist in den letzten Monaten öffentlich thematisiert worden und rückt mit einem Mal in den Hintergrund.

Im Zusammenhang mit der Medieneuphorie über den Aufschwung gibt es eine wahre Lawine an Werbung für das System der Leiharbeitsfirmen. Hier erhalten die Beschäftigten nur 60-70% des bisherigen Einkommens, wenn überhaupt (in der Realität sind es manchmal nur 50%!), 30% und mehr werden von den Leihfirmen selbst einbehalten. Sie treten zwischen die Unternehmen und die Beschäftigten. Dieses fragwürdige System, bei dem man sich fragen muß, worauf denn der Erfolg basiert, wird massiv verbreitert und propagiert. Die Vorteile für die Firmen liegen auf der Hand. Sie können so jederzeit die Arbeitskräfte wieder abstoßen oder durch andere ersetzen., Ganze Teile der Stammbelegschaften werden mittlerweile dauerhaft durch unterbezahlte und weitgehend rechtlose Leiharbeiter ersetzt. Dieses fragwürdige System muß direkt angegriffen werden. Spielte es früher eine Randrolle, so versuchte der Staat ihm 2003 in Form der sog. PSAs (Personal Service Agenturen) einen Durchbruch zu verschaffen. Im Endergebnis konnten sich die PSAs als bürokratische Monster nicht durchsetzen, um so mehr machen die privaten Leihfirmen heute im ganzen Land Furore. Eiskalt und nüchtern heißt es: die Zahl der Leiharbeiter wird sich verdoppeln.

Das Fernsehen redet davon, die Arbeitswelt teile sich heute einteilt in „Privilegierte“, die noch Arbeitsplätze haben, und solche, die bei Leihfirmen beschäftigt sind oder keine Arbeit haben. So haben sich die Dinge schon geändert. Was früher ein ganz normaler Arbeitsplatz war, heißt heute „privilegierte Situation“.
Der Kapitalismus drückt radikal die Bedingungen herunter, und damit muß man auch im weiteren rechnen. Die Entrechtung der Arbeiter und Angestellten wird forciert, die Löhne werden weiter gesenkt, begünstigt noch durch solche Dinge wie das neue Lohnsystem ERA (Entgeltrahmenabkommen) der IG Metall.

Zu all diesen Methoden kommen noch die 1-Euro-Jobs, eine besondere Form staatsubventionierter Arbeit, die es Unternehmen und Organisationen ermöglicht, für 1 oder 1,50 Euro arbeiten zu lassen und die Zahl der Festbeschäftigten zu reduzieren.

Durch das Leiharbeitssystem und die übrigen Methoden werden zunehmend alle festen Beschäftigungsverhältnisse untergraben. Niemand anderes als die „Partei des kleinen Mannes“, die Sozialdemokratie, war es, die dieses System schon in der Regierungszeit von Schröder voll in die Wege geleitet hat. Es wird heute von der großen Koalition fortgesetzt.

Dann lassen die Zeitungen und Fernsehanstalten die Luftballons der guten Aussichten steigen. So wurde in den „Tagesthemen“(ARD) von 3.1.07 Dänemark als ein vorbildliches Land beschrieben. Dänemark habe in den 80er Jahren ebenso Probleme gehabt wie wir, aber da heute eine große Flexibilität erreicht sei, seien dort die Probleme der Arbeitslosigkeit weitgehend gelöst. Ein Viertel aller Dänen wird innerhalb eines Jahres mindestens einmal arbeitslos, aber das mache nichts, denn jeder bekomme bald wieder eine Arbeit, die Flexibilität der Arbeitnehmer mache dies möglich.
Es werden Beispiele angeführt, wie in ärmlichen Gebieten neue Industrien erwachsen, am Beispiel einer Containerfabrikation für eine große dänische Reederei. Aber ganz zum Schluß, fast nebenbei, fällt der Satz: auch wenn die Container bald in China produziert werden und man diese Firma aufgeben muß, so sei man dennoch guten Mutes, denn man werde dann irgend etwas Anderes finden.
Vielleicht findet man ja auch noch einmal etwas Anderes, aber es ist ein Irrtum zu glauben, man könne in der einfachen Produktion die billige Konkurrenz abtun und die Kernfrage des immer weiter sinkenden Lebensstandards, der auch zu Krisen führen muß, einfach umgehen. Die prinzipielle Frage, daß das Kapital weltweit rücksichtslos die Arbeitskräfte ausspielt, das niedrigste Niveau sich zum Ziel nimmt und es rücksichtslos, Schritt für Schritt, verwirklicht, wird eben durch das Geschwätz vom Aufschwung und von der Lösung durch Flexibilität weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in Dänemark noch in irgendwelchen anderen europäischen Ländern beseitigt.

Viele Menschen sind alarmiert worden durch die systematischen Betriebsschließungen und die immer stärkere Einengung des Arbeitsmarktes im Inneren, wobei die Unternehmen z.T. aus diesem Land und seinen Beschäftigten herausholen, was das Zeug hält, um sich international durchsetzen zu können und die Aussichten für die Gewinnung von Profiten im weltweiten Maßstab zu verbessern. Deshalb darf in der Wachsamkeit und im Kampf gegen die Verlagerungen und die systematische Liquidation der Produktion hier nicht nachgelassen werden. Dieser sog. Aufschwung ist durch nichts in seiner Dauerhaftigkeit bewiesen, und er ist in vielem nichts weiter als Zahlenmanipulation.

Ein weiterer Grund für die gegenwärtige Beschäftigungszunahme liegt in der Ausweitung eines speziellen Sektors, der Ökoindustrie, der Herstellung von Windrädern beispielsweise. China und andere Länder setzen nicht nur auf den Ausbau der Kernenergie, sondern sie schaffen sich sog. erneuerbare Energien an, vielleicht weil sie auf mögliche Zukunftsanwendungen spekulieren, sicher aber auch als Konzession an den weltweiten Druck und Rummel, der um diese Dinge gemacht wird. Nirgendwo aber können solche Formen wie Windenergie ein wirkliches Standbein der Energieerzeugung sein. Hierzulande werden sie mit Milliarden zusätzlicher Aufschläge auf die Stromrechnungen finanziert und gegen moderne und und wirklich tragfähige Formen wie die Kernenergie ausgespielt, offensichtlich auch in der Kalkulation, die Energiepreise immer höher zu treiben und den Druck auf die Massen zu verschärfen. Das gilt zumindest für dieses Land und die europäischen Länder. Die Exporterfolge, die jetzt auf diesem Sektor gemeldet werden, basieren also darauf, daß den Werktätigen hierzulande die Schlinge um den Hals weiter zugezogen wird. Und nicht anders wird es in vielen Teilen der Welt sein. So werden bestimmte Industriezweige der BRD mit reaktionären Bestrebungen verkoppelt, die heute vom internationalen Kapitalismus massiv propagiert werden. Nicht nur die Merkel und die Müntefering sind heute groß dabei, solche Formen zu propagieren und unentwegt in den Medien den Vorteil der sog. erneuerbare Energien zu predigen, obwohl diese viele Milliarden zusätzlicher Belastungen bringen, sondern auch Bush, Blair und fast alle „bedeutenden Staatsmänner“ posaunen in diese Richtung. Und wenn die Windräder auch industrielle Beschäftigung im eigenen Land nach sich ziehen, so darf man nicht vergessen, daß sie den Massen Kaufkraft rauben, daß der Grundsockel dieser Energien der Raubbau an uns selber ist, der Raubbau an der Arbeitskraft. Nicht umsonst hat diese Öko-Kampagne in ihren frühen Tagen verkündet: Energie verteuern, Arbeitskräfte verbilligen! Auch der Partialboom in diesem Sektor ist mehr als zweifelhaft.


Ein Beispiel sei hier noch erwähnt, wie sich die neuesten Trends umsetzen. Aus Rumänien ist bekannt geworden, daß 2 Millionen Bürger dieses Landes als ausländische Arbeiter in anderen europäischen Staaten, vor allem Spanien und Portugal, arbeiten. Nun gibt es in Rumänien Arbeitskräftemangel, und was passiert? Das Kapital in Rumänien fängt an, chinesische Arbeitskräfte aus 10.000 km Entfernung zu organisieren und in bestimmten Betrieben einzusetzen. Das sind zunächst nur Einzelfälle, aber sie bilden einen prinzipiellen Einstieg.
Ein solches Land wie China mit 1,5 Milliarden Menschen teilt sich heute in große unterschiedliche Schichten auf. Vielleicht 200-300 Millionen Menschen gibt es, die ein erträgliches Einkommen haben, einige Dutzend Millionen kann man sogar zu den Reichen zählen, die sich Luxusgüter leisten können, aber es gibt immer noch 500-700 Millionen - niemand weiß das genau -, die heute in bittere Armut und faktische Rechtlosigkeit zurückgeschleudert worden sind. Dies bildet eine gewaltige Arbeitskraftreserve, die vielleicht hier den nächsten Schub an „ausländischen Arbeitskräften“ ergeben könnte zur rücksichtslosen Ausspielung gegenüber anderen Nationen. Gleichzeitig zieht man sich einen weiteren Konkurrenten heran. Denn chinesische Unternehmen, die auf der Armut ihrer eigenen Beschäftigten im Lande ihre gigantischen Profite begründet haben, fangen verstärkt auch an, im Ausland Firmen aufzukaufen. Das sind ganz neue Perspektiven. Derlei wird sich noch manches wiederholen, und es zeigt sich, daß nichts an der Frage des Zusammenschlusses der arbeitenden Menschen aus den verschiedenen Regionen der Welt vorbeiführt. Die Rechte müssen überhaupt wieder neu erkämpft werden. Das euphorische Gejubel über Aufschwung aber sollte man am besten vergessen. Die Entwicklung der Weltkonjunktur kennt niemand genau, durch einen Umschwung dabei kann es sehr schnell auch in diesem Lande wieder anders aussehen. Und prinzipiell ist die Frage der Produktionsverlagerungen und der Konkurrenz der billigen Arbeitskräfte und die rücksichtslose Ausspielung durch das Kapital ohnehin durch einen vorübergehenden Aufschwung nicht vom Tisch.


Redaktion Neue Einheit

 

 

 

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