Internet Statement 2005-81

Fortsetzung in Teil 2  - Dezember 2006  

 

Die Verhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei

         Symptomatisches über Machtverhältnisse und ihre Ursprünge (I)

Hartmut Dicke       
24.Oktober 2005    


Kapitel 1

Über die internationalen Widersprüche

Die Frage der Europäischen Union und ihres sozialen Charakters besteht für  die arbeitende Klasse wie auch die Nationen als Ganze in allen Ländern dieses Staatenbundes. Welchen Weg nimmt diese EU? Was ist ihr hauptsächlicher Charakter? Wie soll man sich zu ihrer Entwicklung inbesondere im letzten Jahrzehnt stellen?

Die Diskussion über das Verhältnis zur EU ist unter den Vertretern der sozialen Revolution der arbeitenden Klasse seit über 40 Jahren im Gange. Im Jahre 1957 wurde die ursprüngliche Europäische Union (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) nach einer Vorbereitungsphase geschaffen. Sechs Staaten, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg wurden eng miteinander verklammert. Dies erfolgte in einer Zeit, als die USA und die Sowjetunion sich gegenüberlagen und die EU und das ganze westliche Europa unter der Vorherrschaft der USA standen. Bis zum heutigen Tage, d.h. auch zu Zeiten der erweiterten EU, hat sich die grundsätzliche Stellung der offiziellen Unterordnung unter die USA nicht geändert. Schon bei den Vorläuferorganisationen wurde fest definiert, daß das atlantische Bündnis die Grundlage diese europäischen Bündnisses im Westen sei, und noch jetzt, in der abgelehnten EU-Verfassung, heißt es, daß die Verklammerung der Europäischen Union unter der NATO und den USA von allen Bestimmungen der EU unberührt bleibt und unanfechtbar ist. Dies sagt zum einen natürlich etwas aus über die EU, aber es wäre vollkommen verkürzt geschlußfolgert, die EU damit zum reinen Lakaien der USA zu machen, es hat sich in all den 40 Jahren gezeigt, daß sich deutliche Widersprüche entwickelten und unter dieser Verklammerung die europäischen Staaten eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den USA und überhaupt gegenüber den Atommächten wahren konnten.
Die amerikanische Hegemonie über Europa war grundlegender Bestandteil aller westeuropäischen Konstruktionen wie der EWG, der Euratom und anderer, gleichzeitig hatten die europäischen Staaten eine gewisse Eigenständigkeit, die sie auszuweiten trachteten. In dieses ganze Gefüge aber spielen die Frage des  Türkei-„Beitritts“ und die damit einhergehende jahrzehntelange Auseinandersetzung mit hinein.

Immer wieder gab es unter den Kommunisten den Schlachtruf: ‚Raus aus der EU’ – „weil es ein kapitalistisches Bündnis“ sei, ‚Raus aus dem Europa der Monopole’, und ähnliche Schlagworte. Einher gingen damit zuweilen Losungen wie z.B. „Für ein unabhängiges sozialistisches Deutschland!“.

Gegenüber der Verschmelzung kapitalistischer Länder innerhalb eines internationalen Prozesses der Globalisierung der gesamten Ökonomie, die das ganze 20. Jahrhundert in außerordentlichem Maße bestimmt, können Kommunisten sich unmöglich auf den Standpunkt stellen: wir sind für das Verbleiben des Kapitalismus auf der reinen Stufe des Nationalstaates. Das ist eine unsinnige, rückwärtsgewandte Stellung, die keinen Bestand haben kann. Die Arbeiterklasse, die selbst international immer sich zu organisieren bemüht war, kann nicht revolutionäre Vertreter hervorbringen, die auf einen nationalen Separatismus hinarbeiten. Die Befürwortung einer nationalen Separierung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn diese zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse führen würde, was im Extremfall einer völlig degenerierten, die Entwicklung blockierenden EU gültig wäre, und keine andere Möglichkeit bestehen würde. In der Regel würde man zunächst einmal eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse auf der Ebene der EU selbst zu erreichen suchen.

Wenn man sagte ‚wir wollen kein Europa der Monopole’, dann mußte man auf diesen Einwand antworten: es herrscht längst ein Europa der Monopole, und zwar auch ohne die EU, weil alle diese Nationalstaaten von dem modernen monopolkapitalistischen Kapitalismus beherrscht sind. Dieser moderne monopolkapitalistische imperialistische Kapitalismus, der sich zu Ende das 19 Jahrhunderts herausentwickelte, herrscht mit und ohne Nationalstaat, mit und ohne EU. Die Losung ‚weg von der EU, hin zum nationalstaatlichen Kapitalismus’ besagt in ihrer Substanz immer reaktionäre Illusionsmacherei, als könne man zum nationalstaatlichen, ja möglicherweise vormonopolistischen nationalstaatlichen Kapitalismus zurückkehren. Wer solche Illusionen nährt, der sitzt mit der Reaktion schon fast in einem Boot. Und was für ein „unabhängiges sozialistisches Deutschland“, oder was für ein „unabhängiges sozialistisches Dänemark“ oder „unabhängiges sozialistisches Italien“ soll es denn geben? Kann man sich denn vorstellen, daß sich ein einzelner Staat heraussondert, eine sozialistische Ökonomie aufbaut, und dies in einem kapitalistischen Umfeld mitten auf dem nationalen Flickenteppich Europa?
Die frühere Sowjetunion und das frühere sozialistische China konnten relativ autonome sozialistische Ökonomien aufbauen, weil sie auch zugleich einen relativ großen territorialen und kulturellen Bereich für sich bildeten.  Dies ist aber bei den westeuropäischen Staaten nicht der Fall, d.h. man mußte immer davon ausgehen, daß eine sozialistische Revolution ohnehin nur gleich in einem Verbund von westeuropäischen Staaten, die eng miteinander verkoppelt sind, stattfinden kann. Es ist deshalb auch kein Wunder, daß diese Losungen, die typisch waren für viele Organisationen während der siebziger Jahre, sich nicht haben halten können.

Die Losung „Für ein unabhängiges sozialistisches Deutschland“ taucht übrigens auch bei kleinbürgerlichen Nationalisten und sogar „völkischen Nationalisten“ auf, die derartige isolationistische Illusionen nähren.

Diese Feststellungen bedeuten natürlich nicht daß die Kommunisten etwa uneingeschränkt die Verbindung der kapitalistischen Länder in Europa gutheißen und sich zu einer Akklamation für die kapitalistische Integration hinreißen lassen. Es gilt dabei zu differenzieren und die Unterschiedlichkeit der Aspekte zu betonen.
Wenn z.B. eine europäische Verfassung geschaffen wird als Mittel zugleich, alle Strukturen des Widerstandes der arbeitenden Klasse in den verschiedenen Ländern zu untergraben und zu unterminieren, dann muß dies bekämpft werden. Wenn man anfängt, die Rolle der Nationen als grundsätzliche Basis der Entwicklung der Demokratie zu leugnen und einer sog. Kahlschlagspolitik das Wort redet, dann allerdings muß das bekämpft werden. Auch wenn Europa eigene Großmachtpolitik betreibt, etwa in Konkurrenz zu den USA tritt oder treten sollte in bestimmten Fragen, dann wäre es von dem Punkt ab, wo es eine imperialistische Gefahr für andere Länder bedeutet, zu bekämpfen. Für die heutigen Nationen ist es typisch auf Grund der internationalen Verbindungen, daß sie über einen starken internationalen Austausch verfügen, und entsprechend über eine Zu- und Abwanderung, aber sie verschwinden in der heutigen Welt nicht, in vielen Teilen der Welt bilden sie sich erst in vollem Umfang heraus.

Auf einen kurzen Begriff gebracht, ist die Haltung also die: Unabhängigkeitsbestrebungen werden gefördert, imperialistische Unterdrückerpolitik und Ausbeutung werden bekämpft.

Auch die Politik Europas, sich in den Windschatten der USA zu stellen, Friedensheuchelei zu betreiben und gleichzeitig in opportunistischer Weise an der internationalen Ausbeutung teilzunehmen und die USA dabei als Militärmacht vorzuschieben, muß in ihrer ganzen Heuchelei und Niedertracht entlarvt werden. Dies ist gerade das Typische des bürgerlichen und kleinbürgerlichen Spießers, auch des arbeiteraristokratischen Arbeiters in Europa, daß er sich hinstellt und sagt: wir sind nicht so aggressiv wie die USA; wir profitieren nur ein bißchen überall mit und sind eine „Macht des Friedens“, und man muß dann stillschweigend hinzufügen, eine Macht, die sich auf Kosten anderer bereichert. Diese Mentalität allerdings ist etwas, was als grundsätzliches stinkendes Übel in Europa in allen Ländern kritisiert werden muß.

Diese Haltung, die in unserer Organisation schon 1973 erstmalig formuliert wurde [1] in einem gewissen Umfang unter dem Einfluß der damaligen KP Chinas, aber mindestens ebenso aufgrund eigener politischer Erfahrungen, hat sich auch überall immer weiter durchgesetzt. Es gibt nur noch wenige Parteien, die die EU rundherum ablehnen und rufen: „Raus aus der EU!“ (also für den nationalstaatlichen Kapitalismus). Dies ist als kleinbürgerliche und nach hinten gerichtete eigensüchtige Losung schon enttarnt.

Diese EU ist allerdings nicht nach dem politischen Entwurf einer proletarischen Organisation entstanden, die Einfluß auf die bürgerlich-demokratische Revolution genommen hat, sondern sie ist ein Produkt der Nachkriegshegemonie der USA, was an allen Ecken und Enden zu spüren ist. Aber dennoch hat die EU eine ökonomische Verschmelzung geschaffen und damit eine Reihe von politischen und ökonomischen Fakten, und es ist richtig, wenn bürgerliche Journalisten zuweilen schreiben, daß die Verklammerung von Frankreich und Deutschland und Italien einer der wesentlichen Punkte war, warum kein Krieg in Europa ausgebrochen ist. Wenn es gelingen würde, dies aufzusprengen und die verschiedenen europäischen Staaten, z.B. unter den Bedingungen einer Erweiterung, wieder gegeneinander aufzubringen, würde auch in Europa die Lage drastisch erschwert werden. Ein Krieg in Europa  oder gegen Europa, bei dem Deutschland und Frankreich verklammert sind, ist äußerst schwierig. In dem Moment, wo es gelingt, die Staaten wieder gegeneinander aufzubringen, würden auch in Europa „libanesische“ Verhältnisse im großen Format wieder möglich werden. Deswegen hat die arbeitende Klasse kein Interesse daran, etwa in diesen Punkten der Verklammerung Europas, Deutschlands und Frankreichs, wieder rückwärts zu gehen. Vielmehr sollten die Verbindungen in der EU und die Gleichberechtigung in der Staatsbürgerschaft dazu genutzt werden, in ganz anderem Umfang als bisher Kontakte zu entwickeln und die internationale Arbeiterbewegung auch in Europa aufzubauen oder besser gesagt, in einer neuen Weise zu rekonstruieren.
Wenn das von der Arbeiterbewegung genutzt wird, hat sie weitergehende Chancen. Da müssen als gemeinsame Minimalforderungen der Linken allerdings her: Volles Streikrecht in allen Mitgliedsstaaten, volle Freizügigkeit für gewerkschaftliche Aktivitäten in allen EU-Ländern. Man sollte meinen, das ist eine Selbstverständlichkeit, aber mitnichten, das existiert in Osteuropa vielfach überhaupt nicht und in den westlichen Staaten ebenfalls nicht richtig. Dabei ist es nicht nur eine Frage der Legalität, sondern es ist auch eine Frage der gewerkschaftlichen Strukturen des Westens, daß keine wirklichen Maßnahmen der Solidarität in Europa selbst aufgebaut werden, nicht zuletzt ein Ergebnis dessen, daß seit den zwanziger Jahren die Gewerkschaften in Deutschland  in die staatliche Konzeption mit eingebaut sind, das heißt auch in die USA-Hegemonie. Wenn aber diese Aufgaben bei Berücksichtigung der  konkreten politischen Verhältnisse angegangen werden, haben wir durchaus schon größere Chancen. Bei dem bunten Flickenteppich, den Europa bildet, bei den unterschiedlichen Kulturen, die hier auch innerhalb der europäischen Staaten aufeinandertreffen, ist ja bereits ein Internationalismus notwendig und eine Aufgeschlossenheit gegenüber Ausländern verschiedenster Art, denn um die dreißig verschiedene Staaten bedürfen nun einmal auch eines internationalen Zusammenhangs.

Wir betonen gleich vorweg bei dieser Gelegenheit, daß dies auch unter den Bedingungen des selbstverständlichen internationalen Austausches nur ein Europa der Anerkennung der Nationen sein kann. Die Nationen müssen als die Grundlage dieses Staatenbündnisses angesehen werden. Würden diese Nationen als die Grundlage verschwinden, würde Europa in der gegenwärtigen geschichtlichen Periode seinen Zusammenhalt als ganzes verlieren, denn eine europäische Nation in dem Sinne wie in den USA eine amerikanische Nation existiert, ist aufgrund ganz anderer geschichtlicher Bedingungen hier unter den heutigen Bedingungen nicht möglich.

Die revolutionären Kräfte in Europa sind also dafür, den sozialen Kampf, den Kampf der arbeitenden Klasse bei aller Unterschiedlichkeit zusammenzufügen und möglichst zu einer gegenseitigen Unterstützung der unter ganz verschiedenen Bedingungen kämpfenden Arbeiter und Angestellten dieser Staaten zu kommen. Was die Unabhängigkeit angeht, so sind sie dafür, daß eine klare Unabhängigkeitspolitik heutzutage insbesondere gegenüber den USA betrieben wird, und daß die Abhängigkeit von irgendwelchen Mächten sowohl im Militärischen als auch bez. der Versorgung mit Grundstoffen, durch welche Mächte auch immer, bekämpft werden muß. D.h. die Arbeiterklasse hat durchaus ein Interesse an politischen Fragen Europas, da der Status dieses Staatenbündnisses und der Einzelstaaten Rückwirkungen auf ihre eigene Stellung hat. Es ist mit der Stellung des Proletariats wie überhaupt in der nationalen Frage so, daß in einem abhängigen, national unterdrückten Land die Fragen der nationalen Unabhängigkeit immer nach vorne rücken müssen und den Kampf um die soziale Frage behindern. Deshalb tritt das Proletariat in der ganzen Welt für die Unabhängigkeit der Länder, der Staaten auf der internationalen Ebene ein, und zugleich bekämpft es alle Versuche der Hegemonie und der Bevormundung anderer Länder.
Dies gleiche Verhältnis gilt auch für den europäischen Staatenbund in seinem internationalen Zusammenhang.

Solche Ausführungen sind notwendig, wenn man versucht, die jetzigen Ereignisse um den Eintritt in die Beitrittsverhandlungen der Türkei zu Europa zu analysieren und zu bewerten.

Wenn wir hören, daß eine islamisch-fundamentalistisch beeinflußte Regierung den Beitritt zu Europa fordert, dann allein schon muß dies die arbeitende Klasse hellhörig machen. Es geht aber nicht nur um die inneren Verhältnisse der Türkei, die von Militärdiktatur und Fundamentalismus  als konkurrierenden Formen der Unterdrückung innerhalb der Türkei bestimmt sind. Es geht um viel mehr, da türkische Minoritäten in bedeutendem Umfang in einer Reihe von Ländern leben unter ganz spezifischen Bedingungen und ein nicht unwichtiges Moment der inneren Lage dieser Länder bilden. Wenn der türkische Ministerpräsident Erdogan sich herausnimmt, in den Verhandlungen die USA anzurufen, damit sie innerhalb der Beitrittsverhandlungen die Türkei gegenüber den europäischen Vertragsstaaten unterstützen, d.h. den Oberherrn anzurufen, damit er bei den, mit Verlaub zu sagen, untergeordneten Staaten vorstellig wird, dann ist höchster Alarm schon allein deswegen gegeben. Was hat es denn  mit einem Staat auf sich, der schon bei den Verhandlungen die USA anruft? Was wird er erst tun, wenn er Mitglied ist?
Allein dieser Vorfall muß zu Recht zu einem Überdenken, zu Beunruhigung und schließlich zu Schlußfolgerungen führen. Das kommt in vielen bürgerlichen Zeitungen zum Ausdruck. Hier drei ganz verschiedene Beispiele:

Diesmal können wir sogar mit der „Financial Times“ beginnen, die sich sonst gern als Pacemaker der USA in Europa versteht. Sie kommt nicht umhin, dies offenkundige Verhalten zu kritisieren:

“European diplomats raise eyebrows over US involvement in the deal-making
Thirty hours of talks with Ankara, Washington and other EU ministers had yielded the result London wanted, despite doubts voiced by Austria and Cyprus.
But amid the exhilaration of the British and European Commission delegations, other diplomats sounded a sour note about what some portrayed as a London-Ankara-Washington axis.
‘The British consulted the Turks and the Americans before they consulted us,’ said one official from a heavyweight EU state.” (FT 5.10.05) (Übersetzung in Anmerkung)  [2]

In ebenso deutlichen Worten heiß es in einem „Handelsblatt“-Artikel “Streit der Europäer macht die Türken ratlos” vom 4.10.05 mit einer hervorgehobenen Zwischenzeile:

Erdogans Hilferuf bei der Schutzmacht USA löst in der Europäischen Union erneut deutliche Verärgerung aus”

„Während Gül mit seinem britischen Amtskollegen telefonierte, ließ sich Erdogan mit US-Außenministerin Condoleezza Rice verbinden und bat um deren Intervention. Schon im Vorfeld des EU-Gipfels vom Dezember 2002 hatte US-Präsident Bush auf Bitten der türkischen Regierung bei mehreren EU-Regierungschefs zu intervenieren versucht. Das hatte damals erhebliche Verstimmung ausgelöst. Der Anruf bei Rice verhinderte nicht, dass die Ratspräsidentschaft die Eröffnungszeremonie verschob.“

Und schließlich die „Junge Welt“, das Blatt der Revisionisten, sie schreibt am 4.Oktober:

„Entscheidend allerdings dürfte die Unterstützung Ankaras durch die USA gewesen sein. Gegen 13.30 Uhr, als das Scheitern der Verhandlungen scheinbar feststand, zog der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die US-Karte und machte öffentlich bekannt, daß er die Außenministerin der Supermacht, Condoleezza Rice, gebeten habe, in dem Konflikt zu intervenieren. Was die auch umgehend tat. Ihr Präsident hatte in der Vergangenheit mehrfach das lebhafte Interesse der USA an einem Beitritt der Türkei zur EU bekundet. Seine Befürwortung entspringt nach Auffassung zahlreicher Beobachter demselben Kalkül, aus dem z. B. Frankreich den Beitritt ablehnt: Die aus ihm resultierende Schwächung der EU.“

Wenn das Proletariat für eine relativ unabhängige Stellung der europäischen Länder und des Staatenbundes eintritt, und es tritt eine Macht auf, die von Anfang an sich als Hilfsmacht der USA versteht, dann ist die Stellung aller progressiven Kräfte  zu solch einem Beitrittsversuch schon von dieser Seite her vollkommen klar. Sie kann nur lauten: Eintritt auf dieser Basis vollkommen abbrechen. Mit welchen inneren Auswirkungen unter diesen Bedingungen  zu rechnen ist, damit werden wir uns im zweiten Teil befassen.
Und es muß in der Tat überprüft werden, wie auf derlei Vorgänge angebliche linke oder kommunistische Organisationen reagieren. In einer Reihe von bürgerlichen Zeitungen wird etwa dieser Auftritt der türkischen Regierung in seiner Unverschämtheit und Arroganz beschrieben. In vielen Medien aber, die an größere Teile der Bevölkerung gerichtet sind, wie das Fernsehen oder die Massenzeitungen, spielt dieser Punkt keine wesentliche Rolle. Das heißt, die Brisanz dieser Angelegenheit wird vor der breiten Bevölkerung mehr im Hintergrund gehalten.

Es hat auch einen besonderen Auftritt der österreichischen Regierung gegeben, die bestimmte Forderungen im Zusammenhang mit dem Beitritt aufstellte. Danach gab es auch eine entsprechende Verurteilung des „Sonderauftretens eines kleinen Landes“ und eine entsprechende Schelte von seiten der US-Medien. Diesem müssen wir nun in seinen Hintergründen auch Augenmerk schenken. Dies sollte in unseren Augen von kommunistischen Organisationen nicht unbeachtet gelassen werden ohne eine Stellungnahme. Die politischen Rahmenbedingungen Europas gehen alle Kräfte der Arbeiterklasse unmittelbar etwas an. Zu vertreten, diese Konflikte solle die Bourgeoisie unter sich austragen und sie gingen die arbeitende Klasse nichts an, hieße gänzliche politische Infantilität zu verbreiten. Es ist ja bekannt, daß Kräfte des modernen Revisionismus die Hegemonie gefördert haben, den Zugriff der USA auch auf den europäischen Kontinent gefördert haben und politisch-ökonomisch dieser Hegemonie das Etikett „Regime des Friedens“ umgehängt haben und damit de facto sogar die dominante Rolle der USA bei der internationale Unterdrückung gefördert haben.
Diese ganze Richtung, die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zuerst auftrat, hatte ihren bekanntesten Fürsprecher in dem damaligen Vorsitzenden der KP USA, Browder. Dieser verkündete  schon 1934 offenherzig auf dem VIII. Parteitag in Cleveland sein Schlagwort „Kommunismus ist der Amerikanismus des 20. Jahrhunderts.“ Dies steht übrigens in einem merkwürdigen Verhältnis zur Tatsache, daß 1934 in der gleichen Organisation, der Kommunistischen Internationale, für Deutschland immer noch der Hauptschlag gegen die Sozialdemokratie gelehrt wird.

1938,  auf einem folgenden Parteitag, sagte Browder in der offiziellen Rede:

„Der New Deal - Flügel der demokratischen Partei…. unter Roosevelts Führung ist eine wesentlicher  Bestandteil der sich entwickelnden Demokratischen Front… Er stellt heute den, wenn auch unsicheren und unvollständigen, so doch breitesten Rahmen zur Sammlung aller Kräfte der Demokratischen Front der Mehrheit des Volkes in den Wahlen von 1938 dar.“[3]

Wir sehen hier schon früh einen der Hauptzüge des modernen Revisionismus, der faktisch von Anfang an den US- Imperialismus und seine Vorherrschaft begünstigte, die Revolution auf der Welt und namentlich in Europa untergrub. Er tauchte nach dem Krieg um so manifester auf, um schließlich in Form der revisionistischen Sowjetunion zu erscheinen, die unter Chruschtschow und Breshnew diese Prinzipien sehr offen wiederaufnahm, zur engen Kollaboration mit den USA überging, und schließlich in der Epoche der Schwäche der USA selbst als die zumindest zeitweilige hegemonistische Macht entstand. Man schlich den USA hinterher, um sich selbst an die Stelle zu setzen. So läßt sich die damalige Kritik der KP Chinas wie auch überhaupt der prinzipienfesten kommunistischen Parteien der damaligen Zeit zusammenfassen.

Bei der  Kritik am sowjetischen Revisionismus war die  Komplizenschaft mit den USA immer einer der zentralen Punkte. Der ganze moderne Revisionismus seit den 30er Jahren spiegelt sich in einer solchen Anhimmelung des USA-Imperialismus und seiner Förderung wider, auch wenn er zwischendurch versucht hat, auf die eigenen Füße zu kommen und sowjetische revisionistische Großmachtpolitik zu betreiben.
Es ist deshalb auch interessant, daß in dem oben genannten Artikel der „Jungen Welt“, die von ihrer Herkunft her aus dem ganzen Zusammenhang des sowjetischen Revisionismus stammt, dann noch der bezeichnende Fingerzeig erfolgt:

„Dieser 3. Oktober 2005 war 15 Jahre nach der rechtlichen Ratifikation des DDR-Anschlusses an die Bundesrepublik ein Lehrstück über Macht, Interessen und Einfluß in einer unipolar gewordenen Welt.“

Seht her, will uns wohl der Autor Arnold Schölzel sagen, „mit der rechtlichen Ratifikation“ habt „ihr“ zwar den „DDR-Anschluß“ bekommen, aber zugleich auch die unipolare Herrschaft der USA mit den Folgen.
Die Welt ist natürlich nicht unipolar, das ist das Wunschdenken der Revisionisten seit über 100 Jahren. Und es ist das Denken, das sie als beflissene Apologeten des USA-Imperialisten auszeichnet. Derzeit findet die „unipolare“ Macht der USA an dem Widerstand Chinas, Indiens, Brasiliens, sogar Rußlands und sogar einiger europäischer Staaten eine Grenze, auch wenn das den Revisionisten und sogenannten Antiimperialisten nicht paßt. Und auch in Zukunft wird es keine unipolare Welt geben, denn Eigentum bringt es mit sich, daß sich die Welt aufspaltet und mehrere Pole sich herausbilden. Das ist zugleich eine der wesentlichen Garantien für den Fortgang  der Auseinandersetzung um die Unabhängigkeit der Nationen und den sozialen Kampf im Inneren, der Klassenkampf.
Das internationale Gewicht dieser Angelegenheit wird uns also an Hand der verschiedenen Stimmen sehr deutlich. Für uns ist es nun wichtig, auf den Schlüssel dieser Frage, die inneren Verhältnisse in den meisten europäischen Staaten, namentlich in Deutschland zu sehen.


(Teil 2 erschienen im Dezember 2006 - IS 2006-104)

 



[1]  Vgl.  hierzu Klaus Sender „Die internationale Lage, Europa und die Stellung der marxistisch-leninistischen Parteien“ erschienen im Nov. 1973       zum Schriftenverzeichnis

[2]  Übersetzung: FT 5.10.05

 "Europäische Diplomaten runzeln die Stirn wegen des US-Engagements beim Verhandlungsabschluß

Dreißig Verhandlungsstunden mit Ankara, Washington und anderen EU-Ministern hatten das von London gewünschte Resultat gebracht, trotz der Zweifel, die von Österreich und Zypern geäußert wurden.
Aber inmitten der gehobenen Stimmung der Delegationen aus Großbritannien und der EU-Kommission waren bittere Töne anderer Diplomaten zu hören über das, was einige als eine Achse London-Washington-Ankara darstellten.
‚Die Briten haben die Türken und die Amerikaner konsultiert, bevor sie uns konsultiert haben', sagte ein Beamter aus einem schwergewichtigen EU-Staat."

[3]  Zitiert nach „Die Kommunistische Internationale“, Bd. 8 Artikel von Sydney Bloomfield zum X. Parteitag 26.bis 31. Mai 1938 in New York

 

 

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