NEUE EINHEIT Extrablatt Nr.34 vom 1.Mai 1998

 

Zu den Demonstrationen in Berlin

Angesichts des rechten Aufmarsches und der veränderten politischen Lage kommt den Demonstrationen und Kundgebungen 1998 wieder eine verstärkte Bedeutung zu.
Im Jahre 1890 begann der 1. Mai-Tag als eine revolutionäre Neuerung. Bald aber schon wurde er zu einer Routine, auf dem die Reformisten das Sagen hatten.
Dieser 1.Mai hat etwas Institutionalisiertes und gibt von vorneherein den vom Staat begünstigten Opportunisten und sogar direkten staatlichen Organisationen immer den Vorteil. Es gibt eigentlich nur Ausnahmefälle in wenigen Jahren, wo andere Kräfte auf dem 1. Mai dominiert haben. Das ist ganz natürlich, denn die etablierten und institutionalisierten Sozialisten und Gewerkschafter können auf die Routine zurückgreifen und ihre ritualisierten Demonstrationen und Veranstaltungen durchziehen, während revolutionäre Kräfte immer etwas Neues aufbieten müssen oder aber sogar gegen die bestehende Staatsmacht sich durchsetzen müssen.
Und wie wir wissen, sind derartige Feiertage in vielen Fällen schon nicht ohne Gefahren für Revolutionäre. Gehen sie mit geringen Kräften auf die Straße, ist die Gefahr gegeben, daß sie sich sozusagen direkt ausliefern - eine kleine Provokation genügt, und schon hat man den Vorwand, eine Organisation für nebensächliche Vorfälle mit jahrelangen Problemen zu beladen: Prozesse etc. pp. Solange es nicht wirkliche Massenaufwallungen gibt - und von denen kann in diesem Land keine Rede sein - tun revolutionäre Gruppierungen besser daran, nicht als Organisation zu demonstrieren; auch nicht Bündnisse zu bilden von mehreren kleineren Organisationen, die dann alle auf die Straße gehen, weil dadurch genau die Mitglieder und engeren Anhänger einer solchen Organisation sich ausliefern

Umgekehrt aber ist es jetzt so, daß die bestehenden Demonstrationen zum Teil einen derartig abgeschmackten Charakter bekommen haben, daß man nicht mehr teilnehmen kann. In Berlin haben wir regelrecht ritualisierte Formen, jedes Jahr findet vom Prinzip her das Gleiche statt: zum einen die langweilige, mittlerweile im krassen Gegensatz zur Realität stehende DGB-Demonstration mit Würstchenbuden etc., die derweil ein Hohn auf die Situation für viele Arbeitende ist und zu der verständlicherweise immer weniger Menschen gegangen sind. Aber das ist noch nicht alles, was wir an Ritual haben. Wir haben auch eine Form von ritualisierter Gewalt aus der sog. "Szene".

Der Begriff "Szene" sagt schon, um was es sich handelt, nämlich um ein bestimmtes Ghetto von angeblichen Linken merkwürdigen Formats: die sog. Autonomen. Die Autonomen sind Kräfte, die sich selbst faktisch durch keinerlei Prinzipien und Organisationsformen festlegen wollen. Es handelt sich um Gruppen und Organisationskreise anarchistischer Art, die die Unabhängigkeit des Individuums und die Unabhängigkeit der Gruppe predigen und in denen schon die Entscheidungsstrukturen absolut unklar sind. Allerdings lehrt die Erfahrung, daß es keine einzige autonome oder anarchistische Gruppe gibt, in der nicht intern autoritäre Strukturen existieren, bei denen meistens einer oder wenige das absolute Sagen haben, über irgendwelche hintergründigen Mechanismen, über die man schwer Aufschluß bekommt. Aus derartigen Strukturen heraus wurden hier mehrfach Demonstrationen "mit Gewalt" produziert, in denen sich allerdings manchmal auch Empörung über bestimmte Bürokratismen oder einzelne Unternehmen geäußert hat, aus der eben auch diese oder jene gerechte Handlung resultierte. Aber an dem Aufgreifen ökonomischer Probleme, etwa der gezielten Freisetzung, die seit zwanzig Jahren läuft, an der Arbeitslosigkeit, an den Problemen einer internationalen Zusammenarbeit der Arbeiterklasse haben diese Demonstrationen überhaupt keinen Anteil und können ihn auch gar nicht haben. Außerdem haben sie immer vollkommen die Grenze zum sowjetischen Sozialimperialismus verwischt, solange dieser noch existierte, und im Grunde genommen haben sie auch immer die Kritik am Revisionismus bekämpft. Insgesamt, kann man sagen, sie sind Antimarxisten.

Diese sog. "revolutionären" 1-Mai-Demonstrationen, die politisch vollkommen hinter den Erkenntnissen, die längst über die Entwicklung des Sozialismus existieren, zurückfallen, liefern den Kontrast zu den absolut "friedlichen" Demonstrationen des DGB. Sie erwecken den Anschein, als gäben es eine ernstzunehmende Alternative, das sind sie aber nicht.

Eine solche Demonstration findet auch heute wieder in Berlin statt. Allerdings werden in dem Aufruf der Autonomen "Heraus zum revolutionären 1.Mai" diesmal mehr Konzessionen an die internationale Arbeiterbewegung gemacht, Ökophrasen und grüne Propaganda gibt es kaum noch, was immerhin ein Zeichen ist, daß es gewisse Auswirkungen auf die Linke gibt.

 

 

Ein besonders deutliches Beispiel

Als Dritte haben wir die Demonstration eines besonderen Teils aus diesem Kreis, der maßgeblich von den sog. "Revolutionären Kommunisten (BRD)" geprägt wird.
Militanz , weshalb und wofür, das ist hier die Frage. Bei einigen Aussagen des letzteren Aufrufs der "RK(BRD)" wollen wir hier verweilen, denn Angesichts des Auffahrens der rechten Potentiale gewinnen die Dinge ein zusätzliches Gewicht.
Diese Gruppe ist schon früher hervorgetreten durch Phrasen wie "Deutschland muß sterben, damit wir leben können."!! Wenn Faschisten eine "kommunistischen Organisation" für ihre Zwecke erfinden würden, dann eine mit derartigen Phrasen, die zurecht nur als eine Provokation aufgefaßt werden können. In der erneuten Flugschrift wird diese Propaganda mit anderen Worten fortgesetzt.

Sie geben sich einen sozialen Anschein, indem sie sich besonders mit der Lage der Ausländer in Deutschland befassen.

Zu dem prinzipiellen Verhältnis zu den Ausländern in Deutschland ist folgendes zu sagen: Es ist eine altbekannte Tatsache, daß während der Jahre von 1965 etwa bis tief in die achtziger Jahre hinein ausländische Arbeiter die wichtigsten Kontingente bei den härtesten Arbeiten bildeten, vor allen Dingen auch bei der Fließbandarbeit. Aber die Situation, wie sie etwa auf dem Höhepunkt 1972 bis 1973 existierte, hat sich auch schon wieder geändert. Heute ist ein sehr großer Teil der Produktion aus Deutschland selbst heraus verlagert worden und die Stellung der Ausländer in Deutschland ist eine sehr unterschiedliche geworden. Es gibt nach wie vor solche, die stark ausgebeutet sind und die schlechtesten Arbeiten machen, aber es gibt auch umgekehrt jetzt einen ganz beträchtlichen Teil von Ausländern, die sich selber als Ausbeuter in diesem Lande betätigen und die von der Bourgeoisie dabei gestützt werden. Ein ganz beträchtlicher krimineller Sumpf ist in der Tat keine Erfindung der Rechten, sondern er existiert und arbeitet mit dem deutschen kriminellen Sumpf zusammen. Er macht hunderttausende von Personen aus. Dies ist auch ein Teil von Ausbeutern. Außerdem gibt es in nicht unbeträchtlicher Zahl, vor allem unter türkischen Ausländern in Deutschland, islamische Fundamentalisten mit offen ultrareaktionären und faschistischen Anschauungen, die selber zum Teil offen rassistisch sind. Alle diese Tatsachen werden von diesen Leuten ganz wissentlich unter den Tisch gefegt, um die Sache "one sided" zu machen. Arbeiteraristokratismus, Kleinbürgerlichkeit gibt es längst auch unter den ausländischen Arbeitern in Deutschland in großer Zahl.

"Und es ist nicht genug, daß nach dem zweiten Weltkrieg ihr "Wiederaufbau" in wichtigem Ausmaß auf dem Rücken von Nichtdeutschen stattfand."
Das ist unwahr, ganz unwahr. Zwischen 1945 und 1961, als der Wiederaufbau betrieben wurde, war der allergrößte Teil der Arbeiter aus Deutschland selbst. Und sie arbeiteten gerade Ende der vierziger und Anfang der fünfziger Jahre zu Niedrigstlöhnen, mußten neben ihrer eigenen Bourgeoisie gerade auch die des USA-Imperialismus mit füttern. Bis ca. 1961 machten die ausländischen Arbeiter, die es Anfang der fünfziger Jahre fast überhaupt nicht gab, schließlich weniger als 5 % aus. Erst ab 1963 änderte sich allmählich die Situation. Der große Sprung kam erst ab dem Jahre 1969 bis 1972, was einen großen Einfluß auf die gesamte linke Bewegung, die damals sehr stark war, ausübte und was mit den revolutionären Herausforderungen in dieser Zeit auch in einem engen Zusammenhang steht.

Die Sätze, die die "RK(BRD)" hier schreiben, laufen alle darauf hinaus, die Dinge nur aus einem einzigen Winkel zu betrachten und nach Möglichkeit die Einheit der Arbeiter zu hintertreiben. Es ist heute wichtiger als je zuvor, die Arbeiter in den entwickelten kapitalistischen Ländern, deren Position durch die Globalisierung untergraben wird, vom Arbeiteraristokratismus weg zu bringen, und die Masse der neuen Arbeiter, wie sie vor allem in der Dritten Welt auftreten, zu einer Verbindung und alle zu einer gemeinschaftlichen Front zu führen. Nur so kann es gelingen. Wenn man zum Beispiel sagen würde, wir wollen nur mit den neuen Proletariern in der Dritten Welt kämpfen, dann würden wir hier den Kampf auf tausend Jahre verschieben, denn das Potential in der Dritten Welt ist kolossal groß, und die Imperialisten hätten die Möglichkeit, mal hier in dieser Region und mal in jener Region die Ausbeutung zu betreiben und die jeweiligen Arbeitermassen wieder zu verwerfen. Wir brauchen unbedingt die Verbindung der Arbeiter in den USA, in Europa und in Japan und in den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern mit den Arbeitern in der "Dritten Welt", wenn es einen sozialen Fortschritt geben soll. Die Ausführungen der "RK(BRD)" aber hintertreiben gerade diese Bemühungen.

Gerade in letzter Zeit werden in gar nicht unerheblichem Umfang die jetzt deklassierten und aus der Position gedrängten Arbeiter und ihre Nachfahren unter den Deutschen wieder in sehr schlecht bezahlte Berufe eingeordnet. Damit schließt sich der Kreis, der erst mit ihrer Anhebung begonnen hat, sich dann mit ihrer Verwerfung fortgesetzt hat und schließlich mit ihrer Niederdrückung und Herabsetzung endet. Übrigens reden keineswegs alle Herrschenden davon, daß Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Das ist eine typische Losung reaktionärer, rechter, mittelständlerischer Hinterwäldler, aber auch leider desjenigen Teils unter den Arbeitern, der sich allen Gesamtzusammenhängen versperrt und sich an die Bourgeoisie im eigenen Land anbiedern will. Die heutigen aufkommenden rechten Tendenzen sind vor allem deswegen gefährlich, weil die imperialistische Bestechung unter den Arbeitern, der Arbeiteraristokratismus, eine große, umfassende, nicht nur materielle sondern auch kulturelle Erscheinung ist, die wir bekämpfen müssen. Aber so wie die "RK(BRD)" können wir sie nicht bekämpfen.

Das Wesentliche des heutigen deutschen Imperialismus ist, daß er unter der Vorherrschaft des USA-Imperialismus versucht, seinen Einfluß zu vergrößern, sich zugleich aber noch in der Hauptsache an diese Vorherrschaft des USA-Imperialismus hält. Die USA selbst staffieren diese deutsche Macht weiter aus, und gedenken ihr die Rolle einer regionalen Hegemonialmacht zu, die in diesem Bereich, Europa-Mittelosteuropa, die "new order" aufrecht erhalten soll. Diese Macht benutzt offenbar zunehmend auch offen rechte Elemente um ihre Herrschaft zu stabilisieren. Eine neue Konzeption dieser bürgerlichen Politik zeichnet sich ab. Vorher war es vor allem der sog. Liberalismus, der Ökologismus und "vorsichtiges Wachstum", die das besondere Steckenpferd dieses Imperialismus waren. Wir werden diese neue Politik ebenfalls bekämpfen, so wie wir schon die alte bekämpft haben. In diesem neuen Aufruf der "RK(BRD)" aber wird die Bundesrepublik als eine ausschließlich für sich stehende Supergroßmacht behandelt. Es kann aber für uns nicht unwesentlich sein, wenn gerade dieser Zusammenhang der USA und der Bundesrepublik in der politischen Darstellung dieser Organisation mit keinem Wort erwähnt wird, und das bei einer Organisation, die maßgeblich von der "RIM"(Revolutionary Internationalist Movement, mit Schwerpunkt in den USA) inspiriert ist.

1.Mai 98
Redaktion NEUE EINHEIT

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