-  Extrablatt Nr.16 /  Frühjahr 1992 -
 

Der Zusammensturz Albaniens


Das früher einmal sozialistische Albanien ist im Jahre 91 endgültig wie eine Seifenblase zerplatzt. Nichts, aber auch nichts ist von dem mutigen Land übriggeblieben. Jener kleine Staat von nur 2 Millionen Einwohnern konnte sich noch vor 25 Jahren vehement den beherrschenden Großmächten widersetzen. Dieser Zusammensturz ist allerdings nicht das Ergebnis der wenigen letzten Jahre.

Albanien konnte man bis zum Jahre 1971 unterstützen. Noch 1968 war es Albanien, das gegen die Okkupation der CSSR im Gegensatz zu vielen anderen Staaten und indirekt auch gegenüber den von den USA beeinflußten Kräften Stellung nahm, denn die USA und die Sowjetunion demonstrierten im Jahre 1968, daß sie ihre Hegemonialsphären in Europa gegeneinander abgrenzen. Albanien war sogar eines der Länder, das gegen diese Sache am unmißverständlichsten und lautstark Stellung nahm. Anfang der sechziger Jahre war es Albanien gewesen, das sich dem sowjetischen Hegemonialzugriff verweigerte und sich der revisionistischen, anbiederhaften Politik Chruschtschows gegenüber den USA, die auf Unterdrückung der Dritten Welt hinauslief, widersetzte. Es war ein Staat, der rundheraus dem Proletariat auf der Welt seine Stimme lieh. Dies alles unter schwierigen Ausgangsbedingungen, denn Albanien war bis 1944 direkt oder faktisch eine Kolonie geblieben, es war das ärmste Land in Europa, was es heute wieder ist. Die ersten 20 bis 30 Jahre waren vom Aufbau eines immerhin erfolgreichen Sozialismus in dieser Zeit geprägt, es wurden eigenständige Grundlagen für Industrie und Landwirtschaft gelegt. Dies sind Leistungen des kommunistischen Albanien, die nicht zu unterschätzen sind. Sicher ist auch hier grundsätzliche Kritik anzusetzen, aber in der Gesamtbewertung müssen wir ein positives Urteil abgeben.

Gegen diese ganze Arbeit stand die kulturelle Rückständigkeit des Landes.

Ganz anders die letzten 20 Jahre. Der Niedergang Albaniens beschränkte sich keineswegs nur auf die Außenpolitik. Eine Regierung kann nicht glaubwürdig sein, die ihrem eigenen Volk radikale Schwenks von der einen Seite zur anderen zumutet und jedesmal blanke Jasagerei von allen dazu erwartet und rücksichtslos jede Form von Meinungsäußerung und demokratischer Diskussion unterdrückt. Die albanische Politik unter Enver Hoxha glitt in den siebziger Jahren in die hohlste Phrasenhaftigkeit ab, hinter der sich kein echter Wille, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen verbarg, weder mit der sozialen Wirklichkeit im Land noch mit der internationalen. Dies war eine wirkliche Degeneration. Man verließ den Arbeitsstil, der in der Zeit geherrscht hatte, als man noch erfolgreich während des zweiten Weltkriegs einen nationalen und Bürgerkrieg geführt hatte, und sich selber befreite.

Wir werden gleich noch einmal auf die Frage eingehen, warum es auch in Albanien zu solch einer Erscheinung kam, und welche Gemeinsamkeiten es etwa zu Prozessen in anderen Ländern gibt.

Der Niedergang Albaniens zeichnete sich schon Anfang der siebziger Jahre ab. Bereits im Jahr 1972 konnte man Albanien nicht mehr so unterstützen wie zuvor. Während die Volksrepublik China aus der massiven Bedrohung, die die sowjetische Aufrüstung bedeutete, ihre Schlußfolgerung zog und immerhin den Versuch unternahm, bei gleichzeitiger Fortsetzung des Klassenkampfes und der sozialen Politik im Inneren, sich nach Westen zu öffnen (also bereits in der Zeit der Kulturrevolution), verweigerte sich Albanien der Erkenntnis, daß ein solcher Schritt, eine solche entschiedene Verurteilung revisionistischer Bewegungen auch in Europa notwendig ist. Gegen Ende der siebziger Jahre verleumdete Albanien die chinesische Revolution und insbesondere die Kulturrevolution, die sie vorher immerhin verteidigt hatten, und mit der sie auf Grund ihres eigenen Kampfes verbunden waren, in einer Weise, daß man sich fragen mußte, ob nicht der CIA bereits in Albanien mitschreibt. Mit diesen Vorstößen unterstützen sie den Umsturz in China, der die Verurteilung der Kulturrevolution zum Kernpunkt hatte. Unter dem Deckmantel einer generellen Verurteilung der sog. "Drei Welten Theorie" verunglimpften sie Mao Zedong bis ins letzte.

Maßgebliche Repräsentanten in den Organen, die sich mit Auslandskontakten befaßten, gaukelten den Leuten in Albanien vor, daß in Form von Parteien wie der "KPD/ML (Roter Morgen)" in Deutschland oder damit verbundener ausländischer Parteien eine starke solide "proletarische Bewegung" existiere. Aber diese Partei wies, gelinde gesagt, einen starken lumpenproletarischen Einfluß auf. Und in der Tat ist die Frage, wieweit die Unterwanderung der albanischen Partei der Arbeit schon lange vor dem Jahre 1989 gediehen ist. Die albanische Partei unterstützte durchsetzte Gruppierungen wie den "Roter Morgen" in Deutschland in pedantischer Weise, schob jede Argumentation beiseite und ließ sich auf Fragen zu dieser Politik gar nicht erst ein. Der entscheidende Vertreter innerhalb der Partei der Arbeit Albaniens während der siebziger und achtziger Jahre, der diese Politik betrieben hat, war niemand anders als Ramiz Alia, der aus der Position als Zuständiger für internationale Verbindungen heraus später selber Vorsitzender der Partei der Arbeit Albaniens und Präsident Albaniens wurde.

Die albanische Partei wollte von irgendwelchen Hinweisen auf die Subversion gegen die kommunistische Bewegung von seiten solcher Gruppierungen wie die "KPD/ML (Roter Morgen)", deren destruktiver und heruntergekommener Charakter sich in diesem Lande schon lange offenbart hatte, nichts wissen und sie ließen derartige Leute weiter ins Land. Dies ist ein deutlicher Hinweis, daß Albanien, obwohl angeblich total abgeschlossen und total abgeschirmt, in Wirklichkeit offene Türen hatte für die Subversion von verschiedensten Seiten. Dies wurde durch die Politik der Albaner, durch ihren Doktrinarismus begünstigt.

Die albanische Partei stellte während der siebziger Jahre die absurde Behauptung auf, daß es bei ihnen keinen Klassenkampf und keinerlei wirkliche ernsthafte innere soziale Auseinandersetzung gäbe. Welch eine absurde Behauptung, wenn man die heutige Realität sieht.

Die Albaner verschlossen die Augen vor der Notwendigkeit, sich mit den eigenen kulturellen Traditionen ihres Landes kritisch auseinanderzusetzen. Ihre hartnäckige und absurde Behauptung, in ihrem Land sei eitel Sonnenschein, und man bräuchte sich um soziale Fragen nicht zu kümmern, war bar jeder Realität und war nur ein Hinweggehen über die wirklichen Widersprüche, die auch die historische und soziale Rolle der Bevölkerung dieses Landes und seine historischen Traditionen beinhalteten. Albanien hat keineswegs nur die Tradition des Skanderbek, der mit großem Mut gegen die türkische Vorherrschaft kämpfte. Albanien hat auch die traurige Tradition, später zu einer Reservetruppe des osmanischen Reiches zu werden, was die Menschen lange Zeit mit prägte. Während des ganzen 19. Jahrhunderts galten die `Arnauten' als die größten Reaktionäre und eine ganz rückständige Kraft in Europa, als eine Art Polizei- und Hilfstruppe des osmanischen Reiches. Erst durch die nationale Unabhängigkeit Albaniens und auch durch den Befreiungskrieg, den das albanische Volk dann gegen den Faschismus im zweiten Weltkrieg führte, kamen neue moderne Komponenten in die albanische Geschichte hinein. Aber von diesem erfolgreichen Kampf konnte man nicht in alle Ewigkeit zehren, sondern man mußte auch die kulturellen Wurzeln im eigenen Land behandeln. Wenn die Kommunisten erfolgreich die Alphabetisierung vorantrieben und erfolgreich soziale Grundlagen für den elementaren Aufbau schufen, in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren, so mußten sie danach denken, wie man auch tiefergründig die historischen Wurzeln und die Entwicklung des eigene Volkes behandelt. Dem haben sich die albanischen Kommunisten aufgrund ihrer dogmatischen, doktrinären, bornierten Haltung total verschlossen. Für Enver Hoxha hatten "die Albaner" eben eine bestimmte Mentalität der Befreiung, Sie hatten sich angeblich von allem Übel der Religion, sozialen Klassenwidersprüchen und anderem in der Geschichte vollkommen befreit. Andere, die die Auseinandersetzung, den Kampf zweier Linien, die Notwendigkeit zu Kompromissen ihnen predigten, verurteilten sie als Abweichler und als Kollaborateure mit dem Gegner. Das hat sich als vollkommen hohl erwiesen und war hohl vom ersten Tage an.

Der albanische Niedergang hat mit dem Niedergang anderer kommunistischer Parteien in der Sowjetunion etwa gemeinsam, daß man sich den historischen Grundlagen des eigenen Landes weitgehend verschloß, daß man den Anschluß an die moderne Entwicklung in den siebziger und achtziger Jahre vollständig verpaßte und daß man sich aufgrund des eigenen Dogmatismus ausgerechnet von dem an der Nase herumführen ließ, von dem man glaubte, man sei sozusagen sein einziger sicherer Feind: den USA.

Als der amerikanische Außenminister Baker im letzten Jahr Albanien besuchte, standen auf den Schlag von 2,5 Millionen Albanern 400 000 auf der Straße, um Baker zu begrüßen. Das konnte allerdings kein Zufall sein. Wie lange haben die USA, über albanische Behörden und über ausländische Parteien, die sie selber kontrolliert haben, in Albanien herumgerührt? Das ist die Frage, die man in diesem Zusammenhang stellen muß. Der jetzt aufgekommene Vandalismus, der von den westlichen Zeitungen unterstellt wird, und die aufkommende panische Fluchtmentalität, die von einer Weigerung zeugt, im Lande selbst irgendetwas anzupacken, sich damit auseinanderzusetzen, sind das Resultat einer solchen ignoranten Politik, aber auch der Mentalität, die in der Bevölkerung aufgrund früherer Jahrhunderte gewachsen ist.

Seit Ende der achtziger Jahre betreibt Albanien und die albanische Führung unter Ramiz Alia bereits die Neokapitalisierung und die völlige Öffnung gegenüber dem ausländischen Kapital. Konsequenterweise haben daraus die sogenannten Demokraten in Albanien den Erfolg bezogen und gar nicht zu Unrecht jetzt die Mehrheit im Lande erlangt. Aber auch sie können nicht einen Aufbau bewirken. Das Gejubel über den Sieg der Demokraten wird noch weit schlimmere Konsequenzen haben als das Gejubel, das sich gewisse deutsche Bevölkerungskreise vor zwei, drei Jahren geleistet haben und die ihr böses Erwachen bereits erlebt haben. Albanien steht jetzt, nachdem es in den vollständigen Kapitalismus kommt, tatsächlich vor Hunger und Elend, und man muß hoffen, daß in irgendeiner Weise die Kräfte der Selbstbewältigung der Probleme gestützt werden. Eine Fluchtbewegung dient niemanden. Albanien muß leztlich gezwungen werden, sich seiner Realität zu stellen und muß sich befreien von jener Phrasenhaftigkeit und jener Rückständigkeit im Denken, die noch aus osmanischen Zeiten gekommen sind. Die revolutionären Aufgaben in der ersten Hälfte des Jahrhunderts weckten Albanien. Neue Elemente drängten auf die Albaner ein, man war gezwungen, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen und einen harten Kampf zu führen. In dieser Situation bewährten sich die revolutionären Albaner, in der späteren dann nicht mehr.

Die Albaner weigerten sich, die immer weitergehende Enthüllung des reaktionären Charakters des revisionistischen Regimes in der Sowjetunion zur Kenntnis zu nehmen. Während die Chinesen unter Mao Zedong in der Kritik am Revisionismus fortschritten und seit Anfang der siebziger Jahre verkündeten, daß das revisionistische Regime in der Sowjetunion schlimmer sei als der westliche Kapitalismus, daß der westliche Kapitalismus in stärkerer Weise noch die Entfaltung des Menschen zuläßt als etwa das revisionistische Regime, haben sich die Albaner dieser Erkenntnis verschlossen. Während die chinesische Politik damit einer weiteren Kritik am Kapitalismus und am Revisionismus den Weg öffnete, leugneten die Albaner den Progress, der immerhin auch in der fortschrittlichen Entwicklung innerhalb der kapitalistischen Länder zwischenzeitlich selbst lag, den Progress, den die moderne Technik, die Anwendung neuer Techniken mit sich bringt. Konsequenterweise hat die albanische Partei auch die Anti-AKW-Bewegung unterstützt, mitsamt ihren negativen Auswirkungen auf die soziale Entwicklung. Jedermann, der auch nur irgendwie differenzierter die verschiedenen Seiten der Entwicklung analysierte, wurde von diesen Leuten als "Revisionist" und ähnliches niedergeschrien. Nun hat dies selbst seine konsequente Quittung erhalten.

Ernsthafte Leute in Albanien müssen sich heute darüber im Klaren werden, wie sehr sie sich mit ihren sogenannten kommunistischen Parteien vom Schlage eines "Roter Morgen" selbst täuschten und sich selbst in die Tasche logen, daß sie Mitglied einer internationalen Bewegung seien, derweil sie sich selber immer weiter auslieferten an die Großmächte.

Frühjahr 1992 __________________________
© 1992 Verlag NEUE EINHEIT   (Inh. Hartmut Dicke)